Lesermeinung: Umstrittenes Enquete-Gutachten
Zu: „Rot-Rot schießt weiter auf Enquete-Gutachten“, 2.7.
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Zu: „Rot-Rot schießt weiter auf Enquete-Gutachten“, 2.7.
Die Kritik am Enquete-Gutachten verdient in Teilen ihre Berechtigung. Denn auch wenn eine radikale personelle Selbstreinigung der Presse mit einem echten Neubeginn nach den bitteren Erfahrungen einer Diktatur wünschenswert wäre, entspricht jene in der Regel fast nirgendwo der gesellschaftlichen Realität. Da es die berühmte Stunde Null nur in der Theorie, nicht aber in der Praxis gibt, was sich ebenso an anderen Beispielen wie etwa dem Umgang der alten Bundesrepublik nach dem Zweiten Weltkrieg mit vormaligen Nationalsozialisten zeigt, die nach einer kurzen Schaffenspause in nicht wenigen Fällen ihre alten Posten wiederbesetzten und danach weiter Karriere machen durften. Weshalb man die Geschichte zwar aufarbeiten, jenes aber differenziert und aus dem Blickwinkel mehrerer akademischer Disziplinen tun muss.
Rasmus Ph. Helt, Hamburg
Die Zeiten, in denen der Bevölkerung eine Meinung verordnet wurde, sind vorbei
Ness sagt, es müsse mehr auf die Stimmung in der Bevölkerung eingegangen werden, „die jetzt genug hat“. Herr Ness sollte sich vielleicht einmal in ihm bisher unbekannten Bevölkerungsteilen umhören; ich kenne jedenfalls niemanden, der von dem Thema genug hat. Ich bin Anfang der 90er Jahre aus Magdeburg nach Potsdam gezogen und war von Anfang an erstaunt, wie hier mit dem Thema „Stasi“ (nicht) umgegangen wurde. Aus Magdeburg war mir das Wirken einer Vielzahl von Enquete-Kommissionen bekannt, auch die Nöte und Nachdenklichkeiten der beidseitig Beteiligten. Es wurde tatsächlich über Verstrickungen gesprochen, im Gegensatz zum schweigenden Brandenburg. Es würde mich sehr freuen, wenn nach 20 Jahren auch hier endlich die Zeit reif sein könnte und Politiker und andere Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens sich mit ihrer Vergangenheit auseinandersetzen müssten - wenn sie dabei nicht auch noch von selbsternannten Stimmungsdeutern gebremst und in Watte gepackt würden. Vielleicht könnte Herr Ness daran denken, dass sich gerade in Potsdam / Brandenburg eine äußerst inhomogene Bevölkerung findet, die aus Alteingesessenen, aus zu DDR-Zeiten zugezogenen Systemnahen, aus Westzuzüglern wie ihm selbst, aus „ganz normalen Leuten“ und sicher vielen anderen besteht. Ich weigere mich jedenfalls, pauschal als „Bevölkerung“ bezeichnet zu werden, die angeblich eine einheitliche Meinung hat. Die Zeiten, in denen der Bevölkerung eine solche Meinung verordnet wurde, sind zum Glück auch in Brandenburg vorbei.
S. Brüggemann, Potsdam
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