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Lesermeinung: Ungeprüfte Glückwünsche an einen zweifelhaften Jubilar

„Gratulation für den “größtenKommunisten““, 14.2.

Stand:

„Gratulation für den “größten

Kommunisten““, 14.2.

Zufällig las ich kurz vor dem Erscheinen des Artikels in dem von der Brandenburgischen Landeszentrale für Politische Bildung herausgegebenem Buch „Potsdam 1945-1989, zwischen Anpassung und Aufbegehren“ einen Beitrag über die Reaktion der DDR-Justiz auf die kritischen Äußerungen eines Potsdamers zum Einmarsch der sowjetischen Panzer in Prag 1968.

Der junge Mann hatte sich öffentlich gegen die sowjetische Einmischung ausgesprochen, worauf ein Richter Wohlgethan den Potsdamer Grafiker zu zwei Jahren Gefängnis verurteilte.

Ich gehöre der Generation der so genannten „68er“ an, und als Studentin habe ich mich wie viele damals für die Abkehr von überkommenen und verkrusteten Strukturen in Behörden, Gerichten und Universitäten eingesetzt.

Wir veranstalteten Sit-ins, Demos, Happenings zusammen mit dem SDS, dem sozialistischen Hochschulbund, und den Anhängern der APO, der außerparlamentarischen Opposition, zu denen ich mich zählte. Mit dem Tag, als die Sowjetarmee in Prag einmarschierte, trennten sich unsere Wege.

Die Lager zerfielen in Verteidiger und Verurteiler des sowjetischen Einmarsches. Prag hatte Hoffnung verbreitet, nun machte „Väterchen Frost“ dem Prager Frühling ein Ende. Wir waren entsetzt. Die 68er zerbrachen. Mein Weg ging aus der Apo in die aktive Politik, ich folgte Willy Brandt und wurde Mitglied der SPD.

Zwei unterschiedliche Biografien, Ost und West. Ich hatte das Glück, auf der Seite zu leben, wo mir ein Richter Wohlgethan erspart geblieben ist. Wie aber muss es die Opfer Wohlgethans verstören, wenn sie heute miterleben, wie ihr damaliger Peiniger sich mit seinen Taten brüstet und wie ihre Verwaltung als Repräsentant aller Potsdamer Bürger diesen Richter ehrt?

Das Argument, man habe nichts gewusst, zieht nicht mehr. Zu lange und zu oft haben wir es von der Generation unserer Eltern hören müssen, die auch die Augen vor der Vergangenheit verschlossen haben. Ein Blick in das oben erwähnte Buch, das zur Pflichtlektüre der Verwaltung zählen sollte, hätte genügt, um sich über Herrn Wohlgethan zu informieren. Dort lesen wir: „Immer wieder hatte es in Potsdam Menschen gegeben, die der sozialistischen Indoktrination widerstanden und deren Bürgersinn stärker gewesen war als die Angst.

Sie verließen in Scharen das Land, als noch keine Mauer sie daran hinderte, oder sie wurden inhaftiert und von Richter Wohlgethan zu langjährigen Strafen verurteilt“.

Ehre wem Ehre gebührt.

Bettina Klusemann, Potsdam

„Gratulation für “größten Kommunisten““, 14.2.;

„Jakobs entschuldigt sich“, 15.2.;

„Toleranz hat Grenzen“, 17.2.

Der in Potsdam entstandene Skandal, anlässlich der Öffentlichmachung des 100. Geburtstages eines SED-Richters mit „grauenvoller Urteilskraft“ ist in dreifacher Hinsicht skandalös. Zuerst gratuliert das Stadtoberhaupt einem ehemaligen DDR-Oberrichter, ohne sich in ausreichendem Maße über dessen verbrecherische Vergangenheit informieren zu lassen – obwohl er davor gewarnt wurde, wie die PNN aufschrieb.

Dann berichten Tagesspiegel und PNN am 14. Februar in großer Aufmachung über „die peinlichen Glückwünsche“ und die Potsdamer Neueste Nachrichten können nicht darauf verzichten, bei der Berichterstattung über die „Gratulation für den größten Kommunisten“ die DDR-Auszeichnungen des ehemaligen Potsdamer „Todesrichters“ mit einem Bild im Großformat zu veröffentlichen. Warum eigentlich muss eine geschmacklose Fotografie der Ordenssammlung gezeigt werden? Entspricht ein Bild zu diesem Anlass dem Informationsauftrag einer Tageszeitung? Werden damit nicht vielmehr die Opfer dieses „Todesrichters“ grob verhöhnt?

Der letzte und am meisten aufrüttelnde Skandal wird jedoch in der Haltung und Reaktion des Herrn Dr. Hans-Jürgen Scharfenberg deutlich, der sich einst um das Amt des Potsdamer Oberbürgermeisters bewarb. Mit seiner Verteidigung des ehemaligen „Scharfrichters“, seiner Empörung über die Entschuldigung des Oberbürgermeisters und der geschilderten „übelsten Beschimpfung“ einer kritischen Berichterstattung durch Journalisten zeigt Dr. Scharfenberg sein wahres Gesicht: Er hat nichts dazu gelernt und bleibt seiner kommunistischen Vergangenheit und deren ideologischen ehemaligen Klassenkämpfern treu. Das verbittert.

Nach allem, was man weiß, ist der ehemalige DDR-Oberrichter Herrmann Wohlgethan (was für ein zynischer Name) eindeutig ein Schuldiger, den man unter Demokraten weder ehren noch verteidigen darf.

Etwas mehr Stillschweigen über diesen 100. Geburtstag hätte wohl getan.

Jörg Gernert, Potsdam

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