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PORTRÄT CHRISTOPHER LAUER TWITTER–ABSTINENZLER:: „Man möge mir eine Email schreiben“

Die Piraten und Twitter, das dachte man stets zusammen, so wie die CSU und das Bierzelt, die Grünen und den Anti-Atomkraft-Anstecker oder Erdbeerkuchen und Sahne. Doch jetzt steigt einer aus: Christopher Lauer, Vorsitzender der Piraten-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, zieht den Stecker – obwohl: nicht ganz.

Von Anna Sauerbrey

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Die Piraten und Twitter, das dachte man stets zusammen, so wie die CSU und das Bierzelt, die Grünen und den Anti-Atomkraft-Anstecker oder Erdbeerkuchen und Sahne. Doch jetzt steigt einer aus: Christopher Lauer, Vorsitzender der Piraten-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, zieht den Stecker – obwohl: nicht ganz. Seinen Account will er behalten. Aber kommunizieren will er nicht mehr darüber.

Wie es seine Art ist, dreht Lauer zum Abschied noch einmal die Lautstärke hoch. Sein letzter Tweet am Mittwoch verweist auf den Text, den er dazu in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ geschrieben hat. Darin geißelt er wortgewaltig „eine Diskussions- und Aufmerksamkeitskultur des Rauschens“ und bezeichnet die Tweets als „Kalorien für die mediale Fressmaschine“.

Lauer, den man getrost als „schillernde Figur“ bezeichnen kann, hat wieder zugeschlagen. Aber ist es nur das – ein typischer Lauer? Wenn man dem schlauen Piraten eines nicht absprechen kann, dann dass er ein Pionier der digitalen Welt ist. Er eröffnete sein Twitter-Konto nach eigenen Angaben Mitte 2009. Da gab es den Dienst zwar schon seit drei Jahren, doch Branchendienste zählten damals nur um die 20 000 deutschsprachige Nutzer. Ist der Abschied diese Avantgardisten ein ein Zeichen dafür, dass der Hype abflaut?

Lauer macht eine einfache Kosten-Nutzen-Rechnung auf: „Nur“ etwa 2000 Nutzer klickten auf einen Link, den er verschickt, schreibt er. Wenn er im öffentlich-rechtlichen Fernsehen in einer Talkshow sitze, sehe ihn ein Millionenpublikum. Trotzdem koste ihn Twitter jeden Tag eine Stunde Zeit. Und jede Menge „Produktivität“.

Lauer trifft einen wunden Punkt. Nur 3,9 Millionen Deutsche sind bei dem Dienst angemeldet. Um auf Twitter ein Millionenpublikum zu erreichen, muss man schon Lady Gaga sein. Trotzdem erzeugt Twitter für den, der dort schreibt, das trügerische Gefühl einer großen Öffentlichkeit – wegen der vielen unmittelbaren Reaktionen. Es ist der Sturm im Wasserglas, der oft erst dadurch zum Orkan wird, dass klassische Medien ihn verstärken. Dass die kleine Twitter-Gemeinde so viel Aufmerksamkeit bekommt, ist eine Verzerrung der Wirklichkeit, genährt durch den Versuch der klassischen Medien, sich einen modernen Anstrich zu geben. Der Sturm, der auf Lauers Ankündigung folgte, dürfte in Teilen auch darin begründet sein, dass so mancher Twitterer das insgeheim ahnt. Anna Sauerbrey

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