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Wellblechhütten, Wolkenkratzerpaläste, wie hier in Buenos Aires. Das Wohlergehen aller schaffen die Märkte jedenfalls nicht.

© imago

Markt und Staat in der Krise: Ein Virus gegen den Neoliberalismus

Der Staat ist das Problem, der Markt die Lösung. Corona bietet, wieder einmal, Chancen, diesen Mythos zu verlernen. Werden Sie genutzt? Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Andrea Dernbach

Nichts wird mehr sein wie zuvor – das glaubt sich leicht angesichts von Katastrophen, Kriegen, Krisen. Und hinterher ist wieder Alltag und gar nicht so viel anders. Nur ein Beispiel: Das glaubten viele auch, als 2001 die New Yorker Twin Towers fielen. Aber hat in diesem Jahr schon wer daran gedacht, dass 9/11, die Chiffre für westliche Angst vor islamistischem Terror, bereits 20 Jahre zurückliegt? Wir sind mit anderem beschäftigt.

Dabei wäre die aktuelle Pandemie die rechte Zeit zurückzuschauen. Die Milliarden staatlichen Geldes, mit denen Staaten und Staatengemeinschaften wie die EU ihr beizukommen versuchen, sind geradezu die Widerlegung dessen, was jahrzehntelang herrschende Wirtschaftslehre war: dass der Staat nicht die Lösung, sondern das Problem sei, dass für jedwedes Bedürfnis „der Markt“ Befriedigung biete, dass nicht die Fähigkeit zur Kooperation, sondern Konkurrenz der Kern des Menschlichen sei.

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Wie konnte das alles die Köpfe so lange besetzen, obwohl doch gerade Krisen die Marktreligion immer wieder widerlegen? Schon nach der Lehman-Pleite, die vor zwölf Jahren die Finanzkrise auslöste, wurden Banken mit hohen Milliardenbeträgen vom Staat gerettet. Die Folgekosten für die öffentlichen Hände weltweit gehen in Zigtausende Milliarden. Fast-Staatsbankrotte wie Griechenland eingeschlossen.

Eigentlich wollen sie mehr Staat - aber ihren

Ein Buch, das kürzlich in Italien erschienen ist und dem man baldige Übersetzung wünscht, erzählt die jahrzehntelange Geschichte dieses Widersinns und wie ihn von Beginn an Staatsgeld – ausgerechnet – fütterte. In „Dominio“ (auf deutsch Herrschaft) erzählt Marco d’Eramo, früher US-Korrespondent der römischen Zeitung „il manifesto“, von dem, was er im Untertitel den „unsichtbaren Krieg der Mächtigen gegen die Untertanen“ nennt: eine jahrzehntelange Schlacht um die Herrschaft über die Köpfe, angeführt von einem Dutzend Stahl-, Öl- und Waffenindustriellen des mittleren Westens der USA, darunter die Brüder Koch aus Kansas und die Familie Walton, Besitzerin der Walmart-Kette. Sie fordern den schlanken Staat („Hungert die Bestie aus“) und plündern ihn dabei: Die superreichen Stiftungen, mit denen sie Professoren, Richterinnen, Politiker ihres Lagers unterstützen, die Universitäten, die sie finanzieren – all das verdankt sich legaler Steuervermeidung.

In Wirklichkeit, schreibt d’Eramo, sei nicht weniger Staat das Ziel, sondern mehr. Er zitiert Antonin Scalia, bis 2016 Richter am Supreme Court, ebenfalls Adept rechter Stiftungen: Die Regierung in Washington sei nicht schlecht. „Es geht darum, sie klug zu nutzen.“

Die Zerstörung der Erde bedroht auch die Reichen

Die Neolib-Eliten, schreibt d’Eramo, haben ihre Macht dazu genutzt, die Erde demnächst unbewohnbar zu machen, auch für sie selbst: Sie flüchteten sich in gated communities, hinter Gitterstäben, vor der Wut derer, die ihr Modell bitterarm gemacht hat. Und auch den Superreichen werde am Ende das saubere Wasser und die Luft zum Atmen ausgehen.

Wird nach der Pandemie alles anders? d’Eramo sagt nichts voraus, er wirft nur einen Blick zurück, der optimistisch stimmt: „Erinnern wir uns: Noch 1947 mussten sich die Anhänger des Neoliberalismus quasi im Geheimen treffen. Sie schienen in der Wüste zu predigen. Genau wie wir heute.“ Oder: Was damals begann, lässt sich auch zurückdrehen. Im Interesse des Planeten muss man hoffen, dass das etwas schneller geht.

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