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Meinung: Meister aller Klassen

Berlusconi könnte der Haft entgehen

Stand:

Gäbe es eine sportliche Disziplin mit dem Namen „Kopf-aus-der- Schlinge-ziehen“, Silvio Berlusconi wäre längst Weltmeister aller Klassen. In bisher 16 Verfahren in rund 20 Jahren hat es der frühere italienische Ministerpräsident mit einer Wendigkeit ohnegleichen immer wieder geschafft, sich der Justiz zu entziehen. Mal rettete er sich mit Prozessverzögerungen in die Verjährung, mal bog er sich mit seiner Parlamentsmehrheit Gesetze so zurecht, dass ihm kein Gericht etwas anhaben konnte. Doch jetzt, da die Öffentlichkeit sich eher an den Schlüpfrigkeiten des so genannten „Bunga-Bunga-Prozesses“ ergötzt, bei dem Berlusconi Sex mit einer Minderjährigen vorgeworfen wird, fällt plötzlich ein unerwartetes Urteil: vier Jahre Gefängnis für den Unverurteilbaren. Wegen Steuerhinterziehung und wegen des Transfers von einer halben Milliarde Euro auf Schwarzgeldkonten im Ausland. Berlusconi schuldig! Was für eine Überraschung.

Das Urteil ist bedeutsam, wenn auch vornehmlich auf der symbolischen Ebene. Denn es zeigt, dass selbst der scheinbar allmächtige Milliardär Berlusconi, der Mann, der sein ganzes politisches Leben lang die Justiz, die Richter und Staatsanwälte verhöhnt, geschmäht, verachtet und beleidigt hat, verurteilt werden kann.

Niemand aber möge sich dem naiven Glauben hingeben, dass er wirklich für vier Jahre ins Gefängnis muss. Das Urteil ist nur in erster Instanz ergangen, ist noch nicht rechtskräftig, und zwar lange noch nicht. Noch zwei Mal kann Berlusconi in Berufung gehen, und das wird er selbstverständlich tun. Und wer das Schneckentempo kennt, in dem sich italienische Gerichte in aller Regel bewegen, der kann sicher sein, dass sich auch diesmal die Schlinge nicht zusammenziehen wird. Das Verfahren dauerte schon so lange, dass es auch diesmal wieder der Fluch der Verjährung einholen wird.

Und wenn nicht, dann wird gewiss jenes freundliche Gesetz greifen, das Berlusconis Regierung im Jahr 2005 durchgesetzt hat: Verurteilte, die älter als 70 sind, kommen in Italien nicht ins Gefängnis, sondern müssen allenfalls mit Hausarrest rechnen. Silvio Berlusconi wird sich dann aussuchen können, in welcher seiner zahlreichen Luxusvillen er den abzusitzen gedenkt.

Fiat Justitia, es möge Gerechtigkeit werden, der Wunsch all derer, die die Machenschaften des 76-Jährigen schon so lange schaudern macht, wird auch diesmal ein frommer Wunsch bleiben. Wolfgang Prosinger

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