zum Hauptinhalt

Von Stefan Hermanns: Mit dem Herz in der Hand

Bundestrainer Joachim Löw hat mit all seinen Entscheidungen Recht behalten

Stand:

Seit vier Jahren trainiert Joachim Löw nun schon die deutsche Fußball-Nationalmannschaft, er weiß also, welche Erwartungen an das Amt geknüpft sind. Vor allem aber kennt Löw inzwischen die Zumutungen, die mit ihm verbunden sind. Der Bundestrainer ist nun mal eine öffentliche Person, bei der selbst die Frage wichtig ist, ob er sich die Haare färbt oder nicht. Löw ist diesen weichen Themen immer ausgewichen, vor dem WM-Halbfinale aber hat er vergleichsweise ausführlich über seinen neuen blauen Glückspulli referiert. In solchen Dingen ist Löw längst nicht so verbohrt wie sein Vorgänger Jürgen Klinsmann; er bedient auch die vermeintlichen Bedürfnisse der Öffentlichkeit – zumindest bis zu einem gewissen Grade.

Als die Öffentlichkeit nämlich im Frühjahr mit Macht die Rückholung des alten Haudraufs Torsten Frings verlangte, hat sich Löw genauso unnachgiebig gezeigt wie bei der Bürgerinitiative zur Begnadigung von Kevin Kuranyi. Er hat Stefan Kießling, den erfolgreichsten deutschen Stürmer der vergangenen Bundesligasaison, weitgehend ignoriert, stattdessen Lukas Podolski und Miroslav Klose, zwei kriselnden Helden des 2006er Sommermärchens, sein Vertrauen geradezu aufgezwungen. Selten wurden eine Nationalmannschaft und vor allem ihr Trainer mit so viel Skepsis zu einer WM begleitet wie diesmal. Im Nachhinein muss man einfach zugeben: Löw hat mit all seinen Entscheidungen Recht behalten.

Wer war noch mal Torsten Frings?

Das ist ja das eigentlich Erfreuliche an der erfreulichen Entwicklung der Nationalmannschaft: dass sie nicht dem Zufall entspringt (oder einem günstigen Spielplan), sondern dem Plan folgt, den Löw schon vor Monaten ausgetüftelt hat und an dem er sklavisch festhält – nicht aus Trotz, sondern aus Überzeugung. Wie immer eigentlich haben die Deutschen nicht die besten Einzelspieler. Aber sie haben den stärksten Teamgeist, die beste Physis und ein klares Konzept.

Als der Bundestrainer im Frühjahr seinen Verzicht auf Kevin Kuranyi damit begründete, dass der Schalker Stürmer nicht in sein Konzept passe, klang das wie eine Ausflucht, eine möglichst sozialverträgliche Form der Aussonderung. In Wirklichkeit war es nichts als die Wahrheit. Löw entscheidet weder aus dem Bauch noch nach Sympathie, wie man bei seiner Anhänglichkeit für Klose und Podolski vielleicht mutmaßen könnte. Er entscheidet nach rein fachlichen Kriterien, man könnte auch sagen: streng nach Plan.

Die Nachricht, dass Löw gegen Spanien wieder seinen Glückspullover tragen wird, war vor dem Halbfinale fast bedeutsamer als die Frage, ob Piotr Trochowski den gesperrten Thomas Müller ersetzen wird oder doch Toni Kroos. Mit seiner Vorliebe für das Übersinnliche ist der Fußball immer noch ein sehr archaisches Gewerbe. Aber der Erfolg der Nationalelf ist weder Hexenwerk noch wie 2006 das Resultat metaphysischer Kräfte. Jürgen Klinsmann hat sein Team damals vor allem mit der Macht der Motivation nach vorne getrieben – weil er bei der Qualität seiner Spieler gar keine andere Wahl hatte. Löw hingegen hat einen jungen, lernwilligen Kader, weil er einen jungen, lernwilligen Kader haben wollte. Er führt ihn durch Kompetenz, seine einzige Obsession ist die Obsession für den Fußball.

Der selbsternannte Projektleiter Klinsmann hatte schon nach zwei Jahren das Gefühl, seine Mittel ausgereizt zu haben. Der Prozesstrainer Joachim Löw aber muss selbst nach vier Jahren noch nicht am Ende seines Weges sein. Kompetenz wirkt, auch nachhaltig.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })