zum Hauptinhalt

Von Jost Müller-Neuhof: Neben der Spur

Das DNA-„Phantom“ zeigt: Den Ermittlern ist die Skepsis abhandengekommen

Stand:

Für einen Mann, der nur einen Hammer hat, sieht jedes Problem wie ein Nagel aus. Diesen so schlichten wie visionären Satz hat Mark Twain geradewegs auf die Technologiegesellschaft zugeschrieben und er erklärt mehr, als wir manchmal wahrhaben wollen. Zum Beispiel das „Phantom von Heilbronn“. Tatsächlich ist die DNA-Identitätsfeststellung der größte Hammer in der modernen Kriminalistik, seit Sherlock Holmes zur Lupe griff. Jetzt scheint festzustehen: Die gesuchte Multikriminelle gibt es nicht. Die Polizeiermittler haben losgeschlagen, aber was sie für einen Nagel hielten, war in Wahrheit bloß ein Wattestab.

Oje, das ist natürlich peinlich. Wie sich jetzt Watteproduzent und Polizei gegenseitig die Schuld an der Panne zuschieben, wie jetzt ein Watte-Qualitätssiegel gefordert wird, wie das Bundeskriminalamt Besserung gelobt – all dies ist sehr schön, doch ist es nur die übliche Leier der Krisenkommunikation, die letztlich darauf hinauslaufen soll, dass schnell wieder ein Deckel auf das Thema kommt. Die Panne ist kein Drama, sie stellt nicht Gewissheiten der Kriminalistik infrage, sie verweist aber darauf, was Ermittlern abhandenzukommen scheint und für den Beruf wichtiger ist als alle Labore dieser Welt: Skepsis.

Die DNA-Identitätsfeststellung ist nicht nur ausgereift, sie ist fast perfekt. Genau in dieser Perfektion liegt das Problem. Winzpartikel reichen aus, um die Datenbank im Bundeskriminalamt zu füttern, die in nicht allzu ferner Zeit eine Million Personenmuster gespeichert haben wird. Mancher Fachmann träumt schon, das Böse lasse sich mit Computer- und Labormitteln aus der Welt rastern, Datenmengen und Rechnerkapazitäten müssten nur groß genug sein.

Doch je mehr man weiß, desto größer werden die Möglichkeiten, sich zu irren, getäuscht zu werden, dass Pannen passieren. Welche Variante das Heilbronner Phantom zum Leben erweckte, ist noch unklar. Doch man darf schon die Stirn runzeln angesichts des durch viele Fernsehserien beförderten Urvertrauens, das die wissenschaftlichen Hilfskräfte der Forensik derzeit überspült. Wenn Anwälte in Prozessen vor einem „planted evidence“ warnten, vor einem gefälschten DNA-Beweis, den ein falscher Spurenleger an einen Tatort hinterlassen hat, wurde das mit einem Kopfschütteln quittiert. Doch was ist die mysteriöse Watte-DNA anderes als ein „planted evidence“ wenn auch ein unabsichtlich abgegebener? Verräterisch auch die Bemerkung eines BKA-Experten, seine eigentliche Arbeit sei es heute zu entscheiden, was angesichts der vielen Spuren überhaupt in das Reagenzglas hinein muss. Wer kontrolliert ihn? Wie wird dieser Vorgang vor Gericht transparent? Statt der Watte ein Qualitätssiegel zu verpassen, sollte man fragen, ob dieses komplexe Stadium noch alle rechtsstaatlichen Garantien wahrt.

Wo es Technologie und Staat erlauben, hat der DNA-Beweis ebenso geholfen, Schuldige ihrer Strafe zuzuführen wie Unschuldige davor zu bewahren. Er ist eine großartige Hilfe. Wer mit dieser Entwicklung Schritt halten will, muss hohe Standards setzen. Ob dies bisher gelang, ist mit dem Phantomfall fraglich geworden.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })