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Horst Seehofer im Bundesrat.

© dpa

Die Macht der CSU: Old Schwurhand und die drei Amigos

Die CSU ist ein Anachronismus. Sie hat mehr Einfluss, als ihr zusteht. Seltsamerweise stört sich daran keiner. Fast keiner

Als wäre es das Normalste der Welt. Da sitzen sie an großen Tischen, verhandeln einen Koalitionsvertrag, streiten über die besten Ideen zum Geldausgeben und demnächst auch über Regierungsposten: die Christdemokraten, die Sozialdemokraten – und noch eine Partei, eine 7,4-Prozent-Partei, die Christsozialen aus Bayern.

Und sie sitzt ja nicht nur dabei, die CSU. Sie gibt den Takt vor, lässt die Muskeln krachen, stellt Bedingungen, ohne Ausländermaut auf deutschen Straßen keine Koalition, keine größeren Kompetenzen für die Europäische Union. Tut so, als wäre sie wer. Und die beiden anderen Parteien spielen das Spiel mit, weil sie es ja schon immer mitgespielt haben. Seit 1949. Als wäre es das Normalste der Welt.

Dabei ist es eine groteske Anomalie. Für die es nicht den geringsten Grund gibt.

In der Anfangsphase der Bundesrepublik konnte man wenigstens noch auf eine historische Tradition verweisen. Schon zu Beginn der Weimarer Republik hatte sich die Bayerische Volkspartei von der Zentrumspartei abgespalten, einen politischen Sonderweg Bayerns beschritten, der dann 1945 mit der Gründung der CSU seine Fortsetzung fand. Seitdem gibt es dieses Unionszwitterwesen, zwei Parteien, die ihre Eigenständigkeit betonen, aber in der parlamentarischen Praxis doch wie eine einzige Partei auftreten, in der Fraktionsgemeinschaft CDU/CSU.

Nur einmal wurde diese Zweifaltigkeit infrage gestellt, 1976, als der berühmte Geist von Kreuth aus der Flasche stieg und die CSU ihrer Schwesterpartei drohte, man könne, falls die Christdemokraten nicht spurten, bei der nächsten Wahl auch im gesamten Bundesgebiet antreten. Die wiederum drohten zurück, sie würden in diesem Fall dann ihrerseits in Bayern einziehen. Der Geist kehrte alsbald in die Flasche zurück. Seitdem herrscht Familienfrieden, gelegentliche Rüpeleien nicht ausgeschlossen. Es ist ja auch ein äußerst kommoder Zustand: Die CSU holt Traumergebnisse bei Wahlen, von denen auch die CDU profitiert, und die lässt die Bayern gewähren, damit die da unten im Süden ein bisschen Eigenstaatlichkeit spielen können, sich halbstark fühlen und nicht aufmucken. Ein wenig Folklore kann im grauen Politikeinerlei ja nicht schaden. Die CSU ließ sich nicht lumpen und sorgte mit strammen Skandalen (von der „Spiegel“- bis zur „Amigo“-Affäre), bizarren Persönlichkeiten (von „Old Schwurhand“ Friedrich Zimmermann bis Baron zu Guttenberg) und delikaten Episoden (von Franz Josef Strauß im New Yorker Rotlichtmilieu bis zu diversen Trunkenheitsfahrten), für Farbe im Politikbetrieb.

In Wirklichkeit aber ist dieses doppelte Unionswesen ein nicht sonderlich demokratiefreundliches Gebilde. Denn es verstellt die Mehrheitsverhältnisse, die Machtverhältnisse. So bekommt die CSU bei Unionsregierungen regelmäßig mehr Ministerposten, als sie einer kleinen Partei arithmetisch zustehen würden. Was ungerecht, aber nicht wirklich gravierend ist. Bedenklicher ist, dass diese merkwürdige Konstellation durchaus politische Inhalte bestimmen kann. Das Betreuungsgeld etwa verdankt seine Existenz dieser CDU-CSU-Anomalie. Wenige Prozentpunkte machen hundert Prozent Politik. Nicht unbedingt ein Ausdruck des Wählerwillens.

Man könnte einwenden, dies sei ja in jeglichen Koalitionsregierungen so, kleine Parteien hätten immer ein Erpressungspotenzial gegenüber den großen. Das ist wahr, verkennt aber, dass in Bayern niemand CDU wählen kann. Also geraten partikulare bayerische Interessen in den Rang eines gesamtdeutschen Politikums. Bayern ist CSU, und die CSU ist Bayern. Das ist nicht nur ein Wahlkampfslogan. Das ist eine politische Realität. Überspitzt gesagt: Auf diese Weise zieht ein Stück Bundesrat in die Exekutive ein. Das ist unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten pikant.

Seltsamerweise gibt es weit und breit wenig Stimmen, die sich wirklich daran stören. Meinungen wie die des schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten Torsten Albig von der SPD, man könne schließlich auch ohne die Bayern regieren, sind eine seltene Ausnahme und werden nicht gehört.

Deshalb wird der Anachronismus CSU fortdauern. Die Partei bleibt ein Kuriosum deutscher Politik, und der Bayerische Defiliermarsch wird so weiter als zweite Nationalhymne überdauern. Und ernsthaften Schaden haben die Christsozialen ja nicht angerichtet. Sogar ans Grundgesetz, das sie 1949 ablehnten, scheinen sie sich mittlerweile gewöhnt zu haben.

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