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Drei von einer anderen Welt: Ursula von der Leyen, Guido Westerwelle, Angela Merkel.

© dpa

Verrückte Welt: Politik und Hartz IV: Einfach grotesk

Politik in Deutschland hat sich auf eine derart bizarre Art losgelöst, ja abgekapselt von jenen, für die sie eigentlich da sein sollte, dass man sich wirklich fragen muss, wie lange das noch gut gehen kann.

Für Hexen kommt’s in Rumänien knüppeldick. Nicht nur, dass sie, wie vor kurzem beschlossen, Steuern zahlen müssen; nun sollen sie auch noch dafür haften, wenn ihre Weissagungen nicht eintreffen. In Kürze wird das Parlament des siebtgrößten Staates der Europäischen Union über einen entsprechenden Gesetzentwurf entscheiden. Wer als Wahrsager versagt, könnte dann zu einer Haftstrafe verurteilt werden.

Völlig verrückt? Ja klar, aber auch nicht viel verrückter als das, was die deutsche Politik so von sich gibt. Ein paar Beispiele aus den vergangenen Tagen? Die SPD-Gesundheitspolitiker wollen Ärzte bestrafen, wenn sie Kassenpatienten zu lange warten lassen. Bis zu 25 000 Euro sollen dann fällig werden, oder auch zwei Jahre Berufsverbot. Erst nach empörten Protesten wurde der Vorschlag zurückgestellt – bis zur nächsten Regierungsübernahme. Die CDU-Frauenministerin möchte Unternehmen vorschreiben, dass sie nach 17 Uhr keine Konferenzen mehr ansetzen, um das Familienleben der Angestellten nicht zu gefährden; wer länger am Schreibtisch sitze, arbeite ohnehin womöglich bloß ineffizient.

Woher nehmen Politiker, die dermaßen kategorisch planwirtschaftlich gepolt sind, eigentlich ihre Lebensweisheiten? Treffen sie zwischen Bundestag, Ministerium, Rücksitz der Dienstlimousine, Abendessen mit Lobbyisten und Fünfstundenschlaf eigentlich noch auf Menschen, auf ganz normale Menschen?

Wer die Tortur auf sich nimmt, beispielsweise die Verhandlungen über die Neuregelung der Hartz-Sätze zu verfolgen, kann nur zu einem Schluss kommen: ganz und gar unmöglich! Politik in Deutschland hat sich auf eine derart bizarre Art losgelöst, ja abgekapselt von jenen, für die sie eigentlich da sein sollte, dass man sich wirklich fragen muss, wie lange das noch gut gehen kann. Eine res publica, eine öffentliche Sache also, ist das jedenfalls nicht mehr, was dort veranstaltet wird. Nach Wochen eines verschachtelten Geschachers, das am Ende, nach der Erklärung der Kanzlerin, sie mache das Ganze jetzt zur „Chefsache“, während einer dramatischen Nacht in einem perversen Poker mündete, ist niemand, wirklich niemand in der Lage, ansatzweise vernünftig zu erklären, woran die Verhandlungen gescheitert sind. Nur wer Schuld am Scheitern hat, das wissen alle Beteiligten ganz genau, wussten es auch schon zuvor, weil das Scheitern erwünschter Teil einer Darstellung von Politik ist, die unweigerlich zur Bloßstellung wird. Einfach grotesk. Gedacht wird dort nur noch in einer Kategorie: Gewonnen oder Verloren? Aber was!

Schon klar, so ist Politik nun mal, wer anderes erwartet, gilt schnell als naiv, als weltfremd. Aber von welcher Welt reden wir denn hier, und: von wessen Welt? Hartz sei kein „Gewinnerthema“, hat die Arbeitsministerin in fröhlicher Offenheit erklärt. Mit anderen Worten: in der Sache egal. Die sieben Millionen Zuwendungsempfänger, die zwei Millionen Hartz-Kinder, die wählen ohnehin kaum, und wenn, dann nicht die Union oder gar die Liberalen. Und die SPD? Sieht das genau deshalb so ähnlich. Ein paar Euro mehr oder weniger – darauf kommt es nicht an. Fallen zu stellen, mit Zahlen zu zocken, die anderen am Ende als verstrittene Loser auf die Bühne zu zerren, ganz egal wie, ganz egal in welcher Sache, ganz egal, ob nun Frauen verhandeln oder Männer: das ist das Ziel, dem wird alles untergeordnet, ohne Leitbild, orientierungslos im ursprünglichen Sinn von Politik. Das ist abstoßend, in der doppelten Bedeutung des Wortes.

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