Meinung: Pragmatisch bis zum Ende
Die Grünen sind auf dem Abstieg – weil sie sich nicht zu ihren Erfolgen bekennen
Von Simone von Stosch
Es sieht so aus, als könnten die Grünen einpacken. Die Umfragewerte stagnieren zwischen sechs und sieben Prozent; die SPD hat sich intern längst vom kleinen Koalitionspartner abgesetzt; wenn es für den Kanzler überhaupt noch Siegeschancen gibt, dann jedenfalls nicht mit Grün.
Warum da noch grün wählen? Die Frage stellt sich seit der Affäre Cem Özdemir erst recht. Er stolperte – wenn nicht mehr dahinter steckt – über Lappalien und zog schneller als andere harte Konsequenzen. Aber die Grünen werden ihm trotzdem nicht verzeihen; ihre Klientel ist streng bis zur Verbissenheit.
Der Fall ist symptomatisch für das Missverhältnis zwischen Anspruch und Realität. Die Grünen sind auf dem langen Weg vom Protest zur Macht eine weitgehend normale Partei geworden: Ja, auch bei ihnen gibt es Verfehlungen, auch grüne Politiker finden den Weg an die Tafeln der Lobbyisten und trennen nicht mehr so scharf, wo normale Kontaktpflege endet und Abhängigkeit beginnt.
Das allein wäre noch kein Drama. Doch diese kleine Normalisierung kollidiert mit der Selbstwahrnehmung, die Grünen seien ganz anders als die anderen: kein Hauch von Korruption, integer, konsequent. Etwas Besonderes eben. Das ist ein Selbstbild aus Zeiten, da die Grünen den moralischen Anspruch hatten: Es gibt kein richtiges Leben im Falschen. Dieser Anspruch könnte die Partei nun Kopf und Kragen kosten.
Das ist umso bitterer, als die Grünen nach vier Jahren Regierungsbeteiligung auf ziemlich viele Erfolge verweisen können. Fast alle Reformprojekte der Regierung tragen die grüne Handschrift: die Ökosteuer, die auch viele Wirtschaftsexperten loben; die Agrarwende, die Verbraucherministerin Künast gegen den Widerstand der Bauern eingeleitet hat; der Einstieg in den Atomausstieg, den wohl selbst die Union nicht wieder zurücknehmen würde; die so genannte „Homoehe" und das Zuwanderungsgesetz, zwei grüne Kernthemen, die das gesellschaftliche Klima nachhaltig verändern werden.
Der Schlüssel zum Erfolg war –Pragmatismus. Die Erkenntnis, dass zwischen Vision und Machbarem Welten liegen; die Fähigkeit, Kompromisse zu schließen. Doch die Grünen scheinen gar nicht stolz auf ihren Erfolg zu sein – als schämten sie sich dafür, nicht viel mehr erreicht zu haben. Sie vermitteln kaum den Eindruck , dass die Politik ihnen Spaß macht. Was die FDP grotesk übertreibt, den Spaßfaktor, lehnen die Grünen ab. Klugerweise. Aber die Haltung ins Gegenteil zu verkehren, ist dumm. Viele grüne Parteigängern beschreiben Cem Özdemir im Nachhinein als zu glatt – und herauszuhören ist dabei: Kein Wunder, dass es so kam. Özdemir war es gelungen, seine (ernsthaften) Anliegen in der Flüchtlings- und Zuwanderungspolitik so unterhaltsam zu verkaufen, dass sie über die grüne Fangemeinde hinaus wahrgenommen wurden. Ist Erfolg den Grünen immer noch suspekt – und doppelt, wenn er in Gestalt eines Porsche-liebenden Youngsters daherkommt?
Die Ökopartei hat sich auch Kompetenzen in Feldern erworben, die früher nicht als grün galten: Wirtschafts- und Steuerpolitik. Doch Wahlkampf macht der Umweltminister mit dem „Dosenpfand", was nach Gängelei und Verzicht klingt. Er könnte mit dem „Wirtschaftsmotor Ökologie" werben oder vom spritzigen Ein-Liter-Auto der Zukunft schwärmen. Und warum kämpft die Partei nicht offensiver für die Förderung des jungen, innovativen Mittelstands? Warum polemisiert sie nicht gegen den Strukturkonservatismus der Gewerkschaften? Die Grünen wirken eher grau als modern. Sie sind Gefangene eines Selbstbildes, in dem Veränderung als Verrat gilt und Pragmatismus als oberflächlich.
Es gibt Gründe, grün zu wählen, Inhalte und Personen. Ja, sie sind eine Partei wie andere auch geworden. Sie müssten das nur als Erfolg begreifen – und auch so darstellen. Dann hätten sie anzubieten, worauf die Wähler warten: eine realistische Perspektive.
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