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Vorbereitungen für einen Massenprozess. in einem eigens errichteten Bunker im kalabrischen Lamezia Terme sollen 350 angebliche Mitglieder der Ndrangheta überführt werden (Dezember 2020).

© AFP / Gianluca Chininea

Rechtsstaat und organisierte Kriminalität: Deutschland, eine kalabrische Provinz?

Der Kampf gegen die ’Ndrangheta muss endlich auf solide internationale Füße gestellt werden. Ein Gastbeitrag.

Von Theresa Reinold

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Nach den Duisburger ’Ndrangheta-Morden vor 15 Jahren titelte „La Repubblica“: „Duisburg, eine Provinz von Reggio Calabria“. Heute muss man sich fragen, ob eine Reformulierung dieser Schlagzeile nicht angebracht wäre: Ist vielleicht inzwischen ganz Deutschland zu einer kalabrischen Provinz geworden? Dies zumindest ist das Ansinnen der ’Ndrangheta. So erklärte ein Boss der Organisation einem jüngeren Kollegen: „Und erinnere dich: Die Welt ist zweigeteilt, in Kalabrien und in das, was Kalabrien werden wird.“

Von Seiten der Strafverfolgungsbehörden und der Wissenschaft heißt es, dass die Kalabrisierungskampagne der ’Ndrangheta in Deutschland bereits beachtliche Erfolge erzielt hat. So befindet eine aktuelle Studie der Universität Essex, dass Deutschland zum europäischen Land mit der stärksten Mafiapräsenz außerhalb Italiens avanciert sei. Die ’Ndrangheta, aktuell die mächtigste der vier großen italienischen Mafiaorganisationen, ist vor allem in Thüringen, NRW und Baden-Württemberg präsent.

Wer in bestimmten Städten in diesen Regionen Pizza essen geht, sollte sich vor Augen führen, dass er gute Chancen hat, der Mafia bei der Geldwäsche zu assistieren. Noch drastischer formulierte es ein Ermittler, der nach den Duisburger Mafiamorden konstatierte, eigentlich müsse man die komplette italienische Gastronomie in der Stadt dicht machen. Etwas diplomatischer befindet ein Polizeikollege: „Wir wissen wo sie sind, wir wissen, wie sie arbeiten, aber strafrechtlich reicht es noch nicht.“

Einstiegsmöglichkeit in die Korruption

Die Lokale dienten nicht nur der Geldwäsche, sondern zugleich als Einstiegsmöglichkeit in die Korruption. „Wenn man so ein Restaurant hat will man wissen, wie sieht so ein Politiker aus, wie bewegt er sich, welche Vorlieben hat er, hat er ein Geheimnis, das ich mit ihm teilen kann und wenn er ein Geheimnis hat und ich darum weiß, habe ich ihn in der Hand“, so ein Ermittler.

Deutsche Politiker hätten allerdings diesbezüglich keinerlei Gefahrenbewusstsein. So berichtet derselbe Ermittler von einem prominenten CDU-Vertreter, der kistenweise geschenkten Wein in seinem Büro lagerte und dies als unproblematisch ansah:. Aber bleibt es bei ein paar Weinkisten? Oder drohen uns in Deutschland italienische Verhältnisse, also eine viel weitergehende Infiltration der Politik durch ’Ndrangheta und Co.?

Mit dieser Frage beschäftigt sich aktuell ein Untersuchungsausschuss im Thüringer Landtag, der erste dieser Art in Deutschland. Ergebnisse stehen noch aus. „In Italien geht es ja so richtig ab mit Stimmenkauf und Bauland und so“, so ein deutscher Mafiaexperte.

Zugang zu bestimmten Institutionen

Und weiter: „Das machen die hier nicht, die wissen, dass es hier Grenzen gibt, manchmal fragt man sich dennoch, gibt’s die wirklich, aber meist reicht es denen schon, Du findest mich gut und sagst bitte überall, dass Du mich gut findest, und dadurch kriegen die Zugang zu bestimmten Institutionen und Personen.“ Doch wo liegt die Grenze?

Vor einigen Jahren machte in Baden-Württemberg der Fall des Senators Di Girolamo Schlagzeilen, einem Vertrauensmann der ’Ndrangheta, für den kalabrische Clans im Ländle ihren italienischen Mitbürgern massenhaft Stimmzettel für die Briefwahl zum Parlament abgekauft hatten. In Italien ist Stimmenkauf von jeher ein beliebtes Machtinstrument der Mafien, um Einfluss zu nehmen. Sollten deren Ableger in Deutschland etwa ähnlich dreist versuchen, das demokratische System in ihrem Sinne zu manipulieren?

In Italien geht es ja so richtig ab mit Stimmenkauf und Bauland und so.

Ungenannter deutscher Mafiaexperte

Eine solche Bedrohung mag auf den ersten Blick überzeichnet erscheinen. Doch auch in NRW wurde die Polizei bereits darauf hingewiesen, dass sie vor dem Konsulat in Köln doch einmal schauen sollte, wer dort zu Wahlzeiten vorspreche. Überhaupt legt der deutsche Rechtsstaat denjenigen, die die Mafia bekämpfen, viele Steine in den Weg, vor allem im Bereich des Datenschutzes und der Geldwäschegesetzgebung. Ermittler aus Deutschland und Italien verzweifeln regelmäßig an den Datenschutzerfordernissen.

Operation Pollino

Aber es gibt auch gute Nachrichten. Aktuell findet in Düsseldorf ein „Mammutprozess“, wie einige Medien titelten, gegen die Mafia statt, welcher aus der Aufsehen erregenden Operation Pollino hervorging, einer konzertierten europäischen Polizeiaktion, bei der 2018 rund 90 mutmaßliche ’Ndranghetisti festgenommen wurden. Der Prozess ist insofern ein Novum, als zum ersten Mal mutmaßliche Mafiosi vor einem deutschen Berufungsgericht wegen der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung angeklagt werden.

Sollte es zu einer Verurteilung kommen, wäre dies ein wichtiger Schritt im Kampf gegen die Mafia: Ebenfalls ermutigend sind aktuelle Entwicklungen auf europäischer Ebene, wo die 2021 etablierte Europäische Staatsanwaltschaft im ersten Jahr ihrer Existenz bereits mehr Geld sichergestellt hat, als sie kostet. Das Mandat der EUStA deckt auch kriminelle Aktivitäten der Mafien ab, insofern diese zu Lasten des EU-Haushaltes gehen.

So war der erste Fall der EUStA ein Umsatzsteuerkarussell, an dem auch die ‚Ndrangheta beteiligt scheint. Aufgrund der supranationalen Konstruktion der EUStA funktioniert internationale Kooperation gegen das organisierte Verbrechen sehr viel effizienter als über den holprigen Weg des Rechtshilfeersuchens. Daher sind sich Justizexperten einig, dass die EUStA eine bedeutende Rolle in der Stärkung der Rechtsstaatlichkeit spielen wird.

Internationale Kooperation ist zweifelsohne ein zentraler Faktor im Kampf gegen die transnationale Ausbreitung der Mafia; sie muss vorangetrieben und konsolidiert werden, um zu verhindern, dass eines Tages hinter dem Titel dieses Beitrages kein Fragezeichen mehr steht.

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