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Frauen im Senegal protestieren gegen den Terror von Boko Haram in Nigeria.

© AFP

Tag zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen: Schluss mit sexualisierten Darstellungen!

Sexuelle Gewalt ist eine beliebte Kampfwaffe. Doch so, wie in den Medien berichtet wird, werden die Frauen oft erneut zum Opfer, meint Catherine Wolf vom Global Public Policy Institute. Ein Gastbeitrag

Im Krisenjahr 2014 schaut die Welt mit Entsetzen nach Nigeria, wo hunderte Mädchen von Boko Haram entführt wurden, und in Richtung Syrien und Irak. Vom „Sex-Dschihad“ hört man da, von „Allahs Gottloser Armee“ und jesidischen „Sex-Sklavinnen“.

Endlich wird der Gewalt gegen Frauen in Konflikten mehr Aufmerksamkeit  in den Medien geschenkt, doch Vorsicht ist angebracht. Schnell paaren sich in manchen Zeitungsartikeln und Fernsehbeiträgen Abscheu und Bestürzung mit Voyeurismus und Islamophobie. Anlässlich des Internationalen Tags zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen sollten wir unseren Umgang mit geschlechtsspezifischer Gewalt hierzulande und anderswo überdenken. Wenn diese Gewalt als kulturspezifisch, also als nicht-deutsches Problem, und Frauen nur als passive Opfer dargestellt werden, machen sich deutsche Medien mitverantwortlich am gesellschaftlichen Nährboden für die Pandemie, die weltweit mehr Frauen zwischen 16 und 44 tötet als Krebs.

Von der Objektivierung von Frauen zur Gewalt ist es nicht weit

Die multiplen Rollen von Frauen in Konflikten werden in der Berichterstattung oft falsch wiedergegeben oder ignoriert. Frauen und Mädchen sind zumeist – wenn überhaupt – im Hintergrund, weinend oder misshandelt zu sehen. Kurdische Kämpferinnen wie der „schöne Engel von Kobane“ werden als Ausnahme und Novum, als Alliierte des Westens glorifiziert und mystifiziert – vorausgesetzt sie sind jung und hübsch genug. Dass sie seit langem integraler Bestandteil des kurdischen Kampfes sind, wird übergangen. In der Regel gilt: Statt Frauen zuzuhören, wird über sie gesprochen. Kommen sie zu Wort, dann als Opfer zur Illustration der Barbarei in fernen Ländern. Sie laufen so Gefahr, durch unsensible Berichte erneut zum Opfer zu werden – durch Re-Traumatisierung oder durch Stigma. Diese Objektivierung von Frauen in weiten Teilen der Medien verstärkt die sozio-kulturellen Strukturen, die geschlechtsspezifischer Gewalt zugrunde liegen. Es ist bewiesenermaßen nicht weit von der Objektivierung zur Gewalt.

#Aufschrei

Darüber hinaus ist diese Art der Konflikt-Berichterstattung auch eine hervorragende Ablenkung von Missständen im eigenen Land. Es wäre ein gravierender Fehler wegzusehen, wenn Frauen und Mädchen in Konflikten Opfer von Gewalt werden. Doch statt strukturellen – globalen – Ursachen auf den Grund zu gehen, werden Misshandlungen als Illustration der Andersartigkeit der „arabischen Welt“ gedeutet und das Bild von der Hassreligion Islam geschürt. Am heutigen internationalen Tag zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen gilt es, nicht nur mit dem Finger zu zeigen. Er sollte außerdem zum Anlass genommen werden, dem perversen Ausmaß geschlechtsspezifischer Gewalt hierzulande gerecht zu werden und die Verantwortung der Medien in ihrer Perpetuierung  anzugehen.

Ein aktueller Bericht der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte belegt, dass in Europa 62 Millionen Frauen seit ihrem 15. Lebensjahr körperliche und/oder sexuelle Gewalt erfahren haben; in Deutschland sind es 35 Prozent. Etwa neun Millionen Europäerinnen wurden vergewaltigt. Täter sind in der Regel nahestehende Männer. Plattformen wie #Aufschrei und #BILDsexism machen deutlich: Die meisten Frauen trauen sich nicht, gegen die Täter und die Sexualisierung in Medien vorzugehen. Wenn sie es doch tun, wird ihnen mit Tod und Vergewaltigung gedroht, oder (Mit-)Schuld an der Tat vorgeworfen.

"Was hatte sie an?"

Hier sind Journalistinnen und Journalisten in der Pflicht: Schluss mit reißerischen Erzählungen und sexualisierten Darstellungen, mit „Slut-Shaming“ und der Frage: „Was hatte sie an?“ Schluss mit der Vereinfachung eines hochkomplexen Themas. Das bedeutet auch: Schluss mit dem Bild von der (muslimischen) Frau in der arabischen Welt, die vom Westen gerettet werden muss. Das Problem ist nicht der Islam; das Problem ist das Patriarchat. Und in der Bekämpfung dieser systematischen Diskriminierung von Frauen, die der Gewalt gegen sie zugrunde liegt, spielen Medien als „vierte Gewalt“ eine außerordentliche Rolle.

Verantwortlicher Journalismus bedeutet nicht nur das Verwenden von geschlechtergerechter Sprache, über die man sich in Deutschland so gerne echauffiert. Es geht um strukturelle Veränderungen, die nötig sind, um strukturelle Fragen zu stellen. Warum treten in Gesellschaften mit starker Geschlechterungleichheit bewaffnete Konflikte häufiger auf? Warum ist sexuelle Gewalt eine beliebte Kriegswaffe?  Wir brauchen mehr weibliche Journalistinnen, gerade in Meinungsbeiträgen und Konfliktregionen. Sie sind nicht per se besser und auch gewiss nicht gefeit vor Islamophobie, geben aber eine andere Perspektive wieder. Zudem bedarf es mehr inoffizieller Informationsquellen; mehr Frauen und anders Benachteiligte müssen in ihrer Heterogenität die Möglichkeit erhalten, ihre Geschichte zu erzählen.

Über Gewalt an Frauen muss anders berichtet werden

Ein Appell an die deutschen Medien reicht jedoch nicht aus. Wir alle sind gefragt. Denn die Sprache der Medien ist auch unsere Sprache. In Privatleben und Politik bilden wir Stereotypen mit, ändern sie, verstärken sie. Damit verstärken wir auch jene Machtstrukturen, auf denen geschlechtsspezifische Gewalt beruht – oder wir tun das Gegenteil und fordern sie heraus. Eine andere Sprache und Berichterstattung wird die von Boko Haram entführten Mädchen nicht befreien können, dafür sind Interpol oder Nigeria selbst besser aufgestellt. Aber wenn wir – in Print und Fernsehen, in Alltag und Politik – endlich aufhören, vereinfacht, verfälscht und objektivierend über Gewalt an Frauen und Mädchen im Ausland und bei uns zu sprechen,  können wir durchaus zu sozio-kulturellen Veränderungen über Deutschland hinaus beitragen, die weltweit das Risiko von Gewalt gegen Frauen reduzieren.

Catherine Wolf ist ist wissenschaftliche Mitarbeiterin und forscht zu Menschenrechten am Global Public Policy Institute in Berlin.

Catherine Wolf

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