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Meinung: Schuld und Bühne

In dieser Woche entscheidet der Bundespräsident, ob RAF-Terrorist Klar begnadigt wird

Von Caroline Fetscher

Es gibt mehrere Arten des Schweigens. Das Sprechen kann blockiert sein durch Schuld, Strafangst und Scham, wie in Deutschland nach 1945: das Schweigen der Kriminellen. Scham und Angst lassen viele Frauen schweigen, die eine Vergewaltigung erlitten haben, oder Kinder, die zu Hause geschlagen werden: das Schweigen der Opfer. Bei der dritten Art sieht sich der Schweigende loyal. Aus Solidarität schützt er sich und andere. Das ist Schweigen aus Ehrgefühl, etwa wenn Streikende der frühen Arbeiterbewegung den Kopf einer Rebellion nicht verrieten.

Im sogenannten Schweigekartell ehemaliger RAF-Genossen dominiert die subjektive Auffassung, hier handle es sich um das Ehren-Schweigen. Objektiv aber handelt es sich um das Schweigen von Kriminellen, um eine Spielart des kollektiven Mundhaltens, gegen das sich die Studentenrevolte damals gewehrt hat. Auch er schweigt bis heute – der wegen mehrfachen Mordes seit 24 Jahren inhaftierte Christian Klar, über dessen Gnadengesuch Horst Köhler diese Woche entscheiden will. Auf der großen Bühne der Öffentlichkeit werden jetzt das Ausmaß von Schuld wie Sühne verhandelt, und jeder Bürger, anders als manche Grünen glauben, darf dem Staatsoberhaupt seine Ansichten zur Causa Klar mitteilen.

Woher aber das seltsame Stimmengemisch dieser Tage? Offenbar dringt es direkt aus dem Unbewussten des Damals ins Heute – ein Symptom dafür, wie wenig bisher verarbeitet wurde. In den siebziger Jahren verzweigte sich der rote Mainstream der Studentenrevolte in ein Delta bunter Bäche. Öko-WGs, Bhagwan-Pilger, Psychogruppen, Kinderläden, Hausbesetzer, Politprofis an den akademischen Institutionen tauchten auf, alle mit ihren jeweiligen Vorstellungen von Ausagieren oder Reflektieren. Als untergründiger, gemeinsamer Nenner fungierte für viele die in den Untergrund – das Unbewusste – abgetauchte RAF: Waren die nicht so radikal, wie wir uns das nicht trauten? Als Peacenik und Greenpeacer hatte man die Revolte verraten, die machten Ernst und brachten alte Nazis um die Ecke, in gerechter Lynchjustiz.

Peter Handke – der ja den Mördern bis hin zu Milosevic treu blieb – richtete nach dem Deutschen Herbst 1977 eine poetische Adresse an die RAF: „Ihr seid keine Mörder, keine Verbrecher – meine Brüder – sondern Soldaten, Richter und Henker.“ Der Dichter Erich Fried fragte sich angesichts des Buback-Mordes: „Was soll ich sagen/von einem toten Menschen/der auf der Straße lag/zerfetzt von Schüssen/.“ Ein Mensch, schreibt er, der doch einmal ein Kind, ein Vater war. Doch, so das Gedicht: „dieses Stück Fleisch/glaubte Recht zu tun/und tat Unrecht“.

Dass RAF-Mitglieder wenig mit gerechtem Antifaschismus, mehr mit Israelfeindlichkeit und Antisemitismus zu tun hatten, dass sie sich von arabischen Milizen trainieren ließen, dass Brutalität zu ihrer Emblematik gehörte, und dass wir unsere schöne Freiheit, den ganzen Blödsinn zu debattieren, den Westalliierten verdanken, machten wir uns kaum bewusst.

Wenn es jetzt Praktikumsplätze an Staatstheatern zu vergeben gibt, könnte man daran denken, dass hier, mitten unter uns, Tausende leben, die aus undemokratischen Mörder-Regimen in unser Asyl geflüchtet sind, weil sie sich Demokratien wünschen statt Diktaturen. Claus Peymann und andere könnten beim Berliner Behandlungszentrum für Folteropfer nachfragen. Dort kennt man sie.

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