Von Andrea Dernbach: Sie sind wir
Im europäischen Vergleich klappt die Integration von Migranten bei uns ganz gut
Stand:
Spaichingen ist – dies für die wenigen Berliner Nichtschwaben – eine Kleinstadt auf der Schwäbischen Alb. In einem baden-württembergischen Städtchen mit etwas mehr als 12 000 Einwohnern fällt eine Moschee naturgemäß etwas stärker auf als im säkularen Berlin, respektive in Kreuzberg. Als Spaichingen vor ein paar Jahren seine Moschee bekam, zeigte sich aber sogar ein CDU-Stadtrat erleichtert: Alle hätten sich vernünftig verhalten, und die Sorgen wegen der Parkplätze seien ja lösbar.
Es geht also. Übrigens auch in größeren Städten. Es muss ja auch. Wie aus dem am Mittwoch veröffentlichten Mikrozensus des Statistischen Bundesamts hervorgeht, leben inzwischen mehr als 16 Millionen Menschen in diesem Land, die nicht seit Generationen Deutsche sind. Migranten machen inzwischen rund ein Fünftel der deutschen Wohnbevölkerung aus. Da ist es gut zu wissen, dass das Zusammenleben – warum nur klingt „Integration“ immer schon so, als sei „Problem“ gemeint? – im Alltag meist ähnlich geräuschlos funktioniert, wie die Zahl der zu Integrierenden wächst.
Anderswo greift das aufgeklärte Europa zu kindlicher Magie, die Schweiz verbietet Minarette, die Franzosen und Belgier ganzkörperverhüllte Frauen. Und bei uns: keine brennenden Vorstädte, dafür ab und zu Glaubenskriege um die angeblich tiefverwurzelte Neigung von Migranten zur Gewalt und Sarrazins Knallchargieren über die ökonomische Verwertbarkeit von Arabern. Unsere Probleme möchten wir haben.
Einerseits. Andererseits haben wir, neben dem glücklicherweise recht gut funktionierenden Alltag, noch ein paar Baustellen. Sie stehen allerdings oft nicht an der Basis, da wo deutsche und migrantische Kinder im Sandkasten miteinander spielen oder sich katholische Gemeinderäte und muslimische Gläubige zu Weihnachten und am Opferfest besuchen. Das falsche Wort vom „clash of civilizations“ ist eben nicht im Kiez erfunden worden, sondern von einem Hochschulprofessor, die Kopftuchgesetze, die muslimische Lehrerinnen in eine neue Kleiderordnung zwingen, statt auf ihre pädagogische Qualität zu sehen, waren eben keine Antwort auf Volkes laute Stimme, sondern bestenfalls der populistische Versuch, ihm aufs Maul zu schauen. Die verzweifelte Suche nach Identität, Sicherheit, das Abgrenzungsbedürfnis gegen angeblich Fremdes scheint, nicht nur in Deutschland, oft genug eher ein Elitenprojekt zu sein als das des kleinen Mannes und der kleinen Frau auf der Straße.
„Wer ist wir?“ ist der Titel eines überaus anregenden Buches von Navid Kermani. Wer er selbst ist, beantwortet er gelegentlich auf eine ebenso plausible wie verwirrende Weise: Kölner, Schriftsteller, Mann, Vater, Gatte, Liebhaber. Auch Sohn iranischer Eltern, Muslim. Aber eben unter anderem. Auch ein Kreuzberger Sozialarbeiter käme leicht auf so viele „Ichs“. Oder die Frau, die hinter der Spaichinger Moschee eine Zoohandlung führt. Vielleicht gut, dass sie es nicht ständig tun. Aber genau davon lässt sich lernen.
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