Meinung: Tagen und vertagen
Schröder wollte von der Rürup-Kommission keine Ergebnisse – und kriegt auch keine
Nun hat er sie wieder einmal satt, die Politikberater. Die Offenheit, mit der Gerhard Schröder in dieser Woche seine eigene Reformkommission heruntermachte, soll signalisieren: Der Kanzler ist tief enttäuscht von der Arbeit der von Bert Rürup geleiteten Gruppe, die ihm den Weg zur langfristigen Sicherung der Sozialsysteme weisen sollte.
Eine Enttäuschung, die an Scheinheiligkeit nicht zu überbieten ist: Im Gegensatz zur Gruppe um den Volkswagen-Personalvorstand Peter Hartz, die im vergangenen Jahr Reformen für den Arbeitsmarkt entwarf, sollte die Rürup-Kommission anfangs gar keinen Erfolg haben. Weder Schröder noch seine Sozialpolitiker hatten ein Interesse an guten Ergebnissen. Dies war keine Initiative eines reformdurstigen Kanzlers.
Selten ist ein Etat von einer Million Euro lustloser, unambitionierter und desinteressierter vergeben worden. Im Oktober waren die rot-grünen Koalitionsverhandlungen wegen des Widerstandes der jungen Abgeordneten ins Stocken geraten; da pressten die Grünen dem Kanzler die Gründung dieser Kommission ab. Die jungen Rebellen in den Koalitionsfraktionen stimmten der Erhöhung der Rentenversicherungsbeiträge zu Jahresbeginn auch erst zu, als der Kanzler die Beratergruppe für generationengerechte Reformen berief. Schröder war alles andere als glücklich über die Experten. Dass er den Sachverständigen Bert Rürup an ihre Spitze setzte, ließ sich als öffentliche Ohrfeige für Gesundheitsministerin Ulla Schmidt deuten, die ihm das Rentenversicherungsdesaster ohne Vorwarnung eingebrockt hatte.
Der Rest der Gründung wurde dann ausgerechnet der gedemütigten Ulla Schmidt übertragen. Rürup durfte als Vorsitzender bei der Zusammensetzung mitreden, nicht aber mitbestimmen. Zusammen kam ein bunter Haufen von Gewerkschaftern, Wissenschaftlern, die sich schon vor den Beratungen heftig stritten, konservativen Versicherungsmathematikern und ehrgeizigen Generationenbilanz-Errechnern; dazu Verbraucherschützer, Ulla-Schmidt-Vertraute, Unternehmensberater und Arbeitgebervertreter – eine explosive Mischung, von der man vieles erwarten durfte, nur eines nicht: Ergebnisse.
Pünktlich zu diesem Stand des politischen Ränkespiels änderten sich Auftrag und Bedeutung der Gruppe. Jetzt wollte der Kanzler auf einmal Richtungsweisendes, Rat und Reformen. Die Kommission wurde ins Zentrum der sozialpolitischen Anstrengungen des Kanzleramts gerückt, als sie schon ruiniert war. Ergebnisse, und zwar schnell, verlangte Schröder, als die Gesundheitskosten aus dem Ruder liefen, die Arbeitslosenzahlen ungebremst stiegen, die Rentenversicherung vor Liquiditätsproblemen warnte. Im Sommer solle die Kommission liefern. Rürup parierte. Ergebnisse, noch schneller, verlangte der Kanzler. Inzwischen hatte die Europäische Union ihm eine Frist gesetzt: Bis Mai solle Deutschland seine Vorstellungen zur Sanierung des Staatshaushaltes präsentieren.
Rürup sagte nichts, beschleunigte die Arbeit. Jetzt ruft der Kanzler schon wieder Tempo, Tempo. Bis April soll ein Konzept her. Rürup nickte wieder. Dabei hat Schröder in seiner Regierungserklärung längst verkündet, wo es lang gehen soll. Ist ihm egal, was bei der Kommission herauskommt? Die Grundlinien der Reformen stehen fest, bevor die Kommission ein gemeinsames Votum hätte abgeben können. Zu Recht. Politische Entscheidungen müssen von Politikern getroffen und durchgesetzt werden. Nicht von Bündnissen, Kommissionen, Sachverständigen. Nur: Diese Erkenntnis kommt reichlich spät für das Chaos, das angerichtet wurde.
Bert Rürup kann man vorwerfen, dass er sich auf das Spiel eingelassen hat. Dass er sich schon als Peter Hartz der Rentenversicherung sah und aus Eitelkeit Bedenken wegschob. Dass er naiv genug war, zu glauben, alle Kommissionsmitglieder würden, wie sie unterschrieben haben, über die Arbeit schweigen – wobei Rürup das Fernsehen zur Live-Übertragung der ersten Sitzung lud.
Vor allem aber ist das Scheitern der Kommission dem Kanzler und der Gesundheitsministerin anzulasten. Sie haben ihre Berater lächerlich gemacht. Sie wollten keine Ergebnisse. Nun bekommen sie auch keine.