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Meinung: Trialog: Hysterie verstellt den Blick

Im Zusammenhang mit dem 11. September taucht immer wieder ein Begriff auf: das Böse.

Im Zusammenhang mit dem 11. September taucht immer wieder ein Begriff auf: das Böse. "Das Böse schlechthin, Menschenverachtung und Barbarei haben uns gestern angegriffen", sagte Friedrich Merz in der Bundestagsdebatte am 12. September. Das klingt unheimlich, abgründig, apokalyptisch - es klingt aber auch ohnmächtig.

Zum Thema Online Spezial: Terror und die Folgen Themenschwerpunkte: Gegenschlag - Afghanistan - Bin Laden - Islam - Fahndung Fotostrecke: Bilder des US-Gegenschlags Es ist genau dieser Ton, der jene Hysterie begünstigt, von der alle Beruhigungs- und Besonnenheitsworte abperlen. Man schlage nur jede beliebige Tageszeitung auf und lese die Überschriften. Da wird Angst vermittelt, selbst unter den Formeln der Angstabwehr.

Terrorismus entzieht sich nicht jeder rationalen Erkenntnis. Er ist verstehbar und deswegen auch besiegbar, wie alles, was von Menschen gemacht ist. Vielleicht werden wir nie alles darüber wissen, aber wir können so viel begreifen, dass wir wirksame und vernünftige Gegenstrategien anpacken können.

1.) Terrorismus braucht ein Urtrauma, mit dem er sich motiviert. Das Urtrauma der islamischen Welt ist der Nahostkonflikt und die Besetzung der heiligen Stätten Mekka und Medina durch so genannte "Fremde". Jede Gegenstrategie muss damit anfangen, diesen Konflikt zu lösen. Das versucht jetzt Joschka Fischer. Wenn wir schon damit nicht die Terroristen selbst erreichen, so bricht man doch das Schweigen auf, das viele islamische Gesellschaften zurzeit aufweisen.

2.) Die ideologischen Köpfe terroristischer Gruppen sind immer Intellektuelle. Dieses Kennzeichen teilen sie mit anderen gewalttätigen Ideologien des letzten Jahrhunderts. Armut, Unterdrückung, Ohnmacht, nationale Demütigung, das ist nur der Stoff, aus dem sie ihre Theorien basteln und mit dem sie Anhänger werben. Sie selbst kommen eher aus guten Familien, neigen aber zu autoritärem Verhalten und moralisierendem Sektierertum. Wer sich um die wirklichen Probleme der Völker kümmert, schafft die Bedingungen, um diese Fanatiker von den Menschen zu isolieren, über deren Seelen sie Macht erlangen wollen.

3.) Terroristen brauchen Märtyrer. In diesem Sinne gab es keinen Geheimcode in der Rede bin Ladens. Die Botschaft ist er selbst. Dafür rekrutiert er Nachfolger, selbst nach seinem Tod. Deswegen muss man jede Überreaktion vermeiden. Gerade in der Verfolgung der ideologischen Köpfe ist äußerste Rechtsstaatlichkeit ein Erfolgsgebot.

4.) Terroristen vertreten ein apokalyptisches Weltbild, zu dem der Begriff des Heiligen Krieges hervorragend passt. Wer ihnen in der Sprache des Heiligen Krieges antwortet, bestätigt sie, statt sie zu widerlegen.

5.) Das Gefährlichste am Terrorismus ist die zweite, dritte und vierte Generation, die in der Regel noch anonymer, gesichtsloser, brutalisierter und isolierter agiert. Alle Gegenmaßnahmen müssen darauf abzielen, diese Geiselnahme der Köpfe zukünftiger Generationen für die terroristischen Feindbilder zu unterbinden. Wo das nicht gelungen ist (bei der IRA, der Eta, Kolumbien), droht eine Verewigung des Konfliktes. Hier ist der eigentliche Ort politischer Prävention.

6.) Gerade weil der Terrorismus von apokalyptischen Weltbildern, Urtraumata, Märtyrerverpflichtungen, fanatischen Charismatikern geleitet wird, gerade deswegen ist er militärisch nicht besiegbar. Insofern ist auch die USA "im Kampf gegen den Terrorismus keine Supermacht" (Roger de Weck). Hier genau ist der Punkt, wo ehrliche Solidarität gefragt ist. Vor allem aber ist es wichtig, die eigenen Gesellschaften jenen polarisierten Weltbildern und jener Hysterisierung zu entziehen, die der Nährboden für terroristische Rekrutierungen sein können.

Antje Vollmer ist Vizepräsidentin des B, est

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