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POSITIONEN: Unsere Demokratie braucht die Erinnerung

Zum 90. Jahrestag der Ermordung Walther Rathenaus am 24. Juni

Stand:

Demokraten brauchen beim Eintreten für ihre Überzeugungen nicht Helden oder Märtyrer. Demokraten brauchen nicht den schwülstigen Gedenkkult, mit dem sich Diktaturen zu legitimieren versuchen. Aber Demokraten tun sehr wohl gut daran, sich der Frauen und Männer zu erinnern, die ihren Beitrag leisteten beim Ringen um die Grundlagen eines offenen, freiheitlichen Gemeinwesens.

In diesen Tagen jährt sich zum 90. Mal der Todestag eines liberalen Politikers, der sich in den Jahren nach Kaiserherrschaft und Erstem Weltkrieg anstrengte für die Weimarer Republik, den ersten Versuch einer Demokratie in ganz Deutschland. Walther Rathenau starb als der Außenminister dieser Republik und er starb durch Mörderhand. Wie bereits vor ihm Matthias Erzberger, der bedeutendste Vertreter der katholischen Zentrumspartei, wurde auch Rathenau von Rechtsradikalen ermordet. Die beiden waren neben dem Sozialdemokraten Philipp Scheidemann, der knapp einem Attentat entkam, für die Feinde der Republik die Verkörperung einer Politik, die auf die Verständigung mit den einstigen Kriegsgegnern setzte. Tatsächlich waren sie Realisten, die erkannt hatten, dass es zu einer Politik der schrittweisen Aussöhnung mit den großen Demokratien des Westens gar keine Alternative geben konnte.

Wenn wir uns an sie erinnern, dann lehrt uns diese Geschichte der gescheiterten ersten deutschen Republik vor allem eines: Es gab unter den sogenannten Eliten des Kaiserreiches zu dieser Zeit viel zu viele, die sich vor der Verantwortung für ihr Handeln drückten. Große Teile von ihnen hatten nicht nur vorbehaltlos die Kriegspolitik des Reiches unterstützt. Als diese Politik dann scheiterte, suchten sie auch noch Sündenböcke, um von eigenem Versagen abzulenken. Diese Unfähigkeit zur Verantwortung war damals verbunden mit der Hetze gegen alle, die sich um eine nüchterne Betrachtung der Situation bemühten. Der prominenteste Vertreter einer solchen Haltung war Paul von Hindenburg, der zunächst als militärischer Führer Deutschland in die Niederlage führte und später als Reichspräsident Adolf Hitler den Weg ebnete. Es gehört zu den beschämenden Aspekten der Gegenwart, dass heute noch viele Straßennamen nach jenem Hindenburg benannt sind, während insbesondere Erzberger, aber auch Rathenau weitgehend aus dem öffentlichen Bewusstsein verschwunden sind.

Zu der Weigerung, sich der eigenen Verantwortung zu stellen, gesellte sich bei den Feinden der Republik die Unfähigkeit zur Toleranz. Weil Rathenau Jude war, wurde er in besonderer, widerwärtiger Weise bekämpft. So war der Mord an ihm auch ein deutlicher Hinweis darauf, zu welchen weiteren Verbrechen die Rechtsradikalen in der Lage sein würden.

Wozu diejenigen, deren Geistes Kind die Mörder Erzbergers und Rathenaus waren, nach dem Untergang der Weimarer Republik imstande waren, wissen wir heute. Aber dass sie dafür zuerst die Demokraten aus dem Weg schießen mussten, ist leider nicht hinreichend geläufig. Mit unserer Erinnerung an den ermordeten Walther Rathenau ist also ganz zwangsläufig auch die gar nicht so einfache Erkenntnis verbunden, dass die Wahrheit für viele politisch Verirrte zum Feind wird. Als Rathenau, zunächst auch ein Unterstützer der Eroberungspolitik, sich 1918 dazu durchrang, einen radikalen Kurswechsel zu befürworten, war dieser mit der sicheren Einsicht verbunden, dass es zum schmerzlichen und zwangsläufig neue Probleme hervorrufenden Friedensschluss keinerlei Alternativen gab. Das Notwendige zu tun, brachte ihm keinerlei Beifall ein. Doch weil er es vorbildhaft tat, sollten wir seinen Namen in Ehren bewahren. Menschen, die in solch erstaunlichem Maße wie Rathenau lernfähig, offen und tolerant sind, Menschen, die darüber hinaus auch bereit waren, ihr Leben zu riskieren, verdienen es allemal, sich ihrer zu erinnern - und natürlich gilt dies in besonderem Maße an solchen Jahrestagen wie dem der Ermordung von Walther Rathenau. Das sind wir nicht nur ihm, das sind wir unserer Demokratie schuldig.

Und Brandenburg, das für Rathenau zu einer zweiten Heimat geworden war, sollte dabei vorangehen. Denn die Geschichte unseres Bundeslandes darf nicht nur verbunden werden mit der Herrschaft des Hauses Hohenzollern, die in der Katastrophe von 1918 endete. Die Geschichte Brandenburgs umfasst auch die Bemühungen von Menschen, die den Liberalismus, die Sozialdemokratie oder den politischen Katholizismus repräsentierten, die ihr Leben einsetzten für die erste deutsche Demokratie und sie verteidigten gegen die rechts- wie linksextremistischen Feinde der Republik. In Bad Freienwalde wird übrigens seit einigen Jahren nicht nur vorbildlich an Walther Rathenau erinnert. Dort wird auch versucht, aus dem Geschehen vor 90 Jahren Lehren für die Gegenwart zu ziehen. Dass sich Politiker ihrer Verantwortung zu stellen haben, dass sie nicht abgeladen werden kann auf Sündenböcke, das sollte aber nicht nur an einem Ort des Landes bedacht werden, sondern auch in der Landeshauptstadt Potsdam, überhaupt im ganzen Land.

Die Autorin ist Mitglied des Landtages Brandenburg und Bundesvorstandsmitglied der Freien Demokratischen Partei.

Linda Teuteberg

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