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Bundesparteitag der Piraten: Unter der Käseglocke

Groteske Geschäftsordnungsschlachten, hunderte unerledigte Anträge, während man sich zwanzig Minuten nimmt, um über „Zeitreisen“ zu diskutieren: Sieht so das Update für das Betriebssystem Politik aus, das die Piratenpartei versprochen hat?Der Aufwand auf ihrem Bundesparteitag war maximal, der Ertrag dürftig.

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Groteske Geschäftsordnungsschlachten, hunderte unerledigte Anträge, während man sich zwanzig Minuten nimmt, um über „Zeitreisen“ zu diskutieren: Sieht so das Update für das Betriebssystem Politik aus, das die Piratenpartei versprochen hat?

Der Aufwand auf ihrem Bundesparteitag war maximal, der Ertrag dürftig. Einige Beschlüsse verdienen es zwar, erwähnt zu werden. Die Piraten wollen weg von einer simplen Wachstumsgläubigkeit, die Wirtschaftskraft und Vollbeschäftigung mit Wohlstand verwechselt, sie treten für Mindestlohn und Mindestrente ein und für den Ausstieg aus der Kernenergie. Das sind Inhalte, sicher. Aber das alles ist auch bei der politischen Konkurrenz zu bekommen – und zwar besser durchdacht.

Manche Piraten, gerade aus dem Landesverband Berlin, wollen eine ständige Mitgliederversammlung im Netz, um endlich programmatisch voranzukommen. Diese Idee könnte zum echten Experiment werden, um Demokratie und digitale Revolution zu versöhnen. Doch die Piraten entschieden sich dagegen, das Konzept überhaupt zu diskutieren. Viele fürchten, in der ständigen Mitgliederversammlung, bei Debatten, die nicht von Angesicht zu Angesicht geführt werden, könnten sich demokratisch nicht kontrollierbare Machtzirkel etablieren. Der Einwand ist nicht von der Hand zu weisen, dass Anonymität und Überprüfbarkeit im Netz nicht gleichzeitig zu haben sind, wenn es ans Abstimmen geht. Dennoch ist die Botschaft: Wenn es politisch ernst wird, trauen die Piraten dem Internet doch nicht. Wofür aber werden sie dann gebraucht?

Die Piraten wollen bei ihrem bisherigen, zähen Arbeitstempo bleiben. Deshalb kommen sie programmatisch über Allgemeinplätze nur selten hinaus. Unter der Käseglocke aber, dort, wo sie es sich gemütlich eingerichtet haben, fällt das wahrscheinlich gar nicht mehr auf.

Dennoch: Parteichef Schlömer könnte recht behalten mit seinem Optimismus in Sachen Bundestagseinzug – und der Prognose, die Piraten würden nicht für ein Programm, sondern als Bürgerrechtsbewegung gewählt. Eine Protestpartei sind die Piraten nie gewesen, sie meinen es ernst mit der Politik, obwohl und gerade weil sie es sich selbst so schwermachen. Das spüren die Wähler, die vom politischen System frustriert und auf der Suche nach einer konstruktiven Alternative sind. In Bochum haben sich die Piraten in vielem selbst blockiert. Unbeschädigt geblieben ist dabei nur eins: ihr Sendungsbewusstsein und ihr Selbstbewusstsein. Doch sollte die Konkurrenz sich durchringen, ernst zu machen mit Transparenz und Partizipation, könnte es den Piraten ganz schnell passieren, dass sie keine flüssige Politik mehr betreiben. Sondern überflüssige.Seiten 1 und 4

Karin Christmann

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