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Meinung: Uschi Obermaier im Stadtbad Schöneberg

Pascale Hugues, Le Point

Bestimmt finden Sie, dass meine Abhängigkeit vom Stadtbad Schöneberg langsam beängstigend wird oder dass die muskulösen Bademeister mich wohl unwiderstehlich anziehen ... Denn das ist bereits die dritte Glosse, die ich dieser Berliner Institution widme. Das begrenzte Universum des Schwimmbades bietet den städtischen Ethnologen eine bequeme Aussichtsplattform. Anstrengende Expeditionen ins tiefste Wedding sind nicht mehr nötig, und man muss auch nicht im Januarregen die langen Straßen von Treptow durchstreifen, um Rituale und Gedanken der Berliner zu erkunden.

Während draußen der Orkan „Kyrill“ wütet und Sturmböen gegen die Glasfenster hämmern, tut es gut, sich inkognito in das heiße Wasser des Whirlpools gleiten zu lassen. Zu zwölft drängen wir uns im blauen chlorduftenden Sud, der uns bis zum Hals bedeckt. In westlichen Metropolen ist eine solche Zusammenballung fremder Leiber nur selten zu finden. Allein der überfüllte Bus um 18 Uhr oder der gläserne KaDeWe-Fahrstuhl während des Ausverkaufs bieten ein Experimentierfeld von vergleichbarer menschlicher Dichte.

Im Becken unterhalten sich zwei Frauen über Uschi Obermaiers Körper. Die eine ist rund wie eine Wassermelone und runzlig wie ein Apfel. Sie trägt ein bonbonrosa Badeturban. „Unheimlich“, flüstert sie. Sie ärgert sich und versetzt dem sprudelnden Wasser neidische kleine Fußtritte. Die andere ist dünn wie ein Hering. Auf ihr Schlüsselbein, das unter ihrer rechten Schulter hervorsticht, ist eine schwarze Margarite tätowiert. „Geliftet“, tut sie verächtlich kund. Der türkische Jugendliche neben mir sagt nichts. Uschi Obermaier ist ihm völlig schnuppe. Mit hungrigen Blicken verschlingt er die appetitlichen Rundungen des jungen Mädchens im zitronengelben Bikini, das ihm gegenüber träumt.

Ich spähe in die Nacht, die draußen hereinbricht. Ich rühre mich nicht. Wie ein U-Boot tauche ich noch ein wenig tiefer. Und belausche die Unterhaltungen. Spionieren ist im Stadtbad Schöneberg eine leichte Kunst. Seit der „Stern“ erotische Fotos der nur mit Netz und Stiefeln bekleideten 60-jährigen Uschi Obermaier veröffentlicht hat, spricht ganz Berlin von diesem biologischen Wunder. Vergessen ist die Zukunft des Flughafens Tempelhof, vergessen die Erhöhung der Mehrwertsteuer ... Dem stolzen Sex-Appeal einer Uschi Obermaier jenseits der Menopause mussten die klassischen Stammtischgespräche weichen.

Uschi Obermaier ist nicht die einzige Großmutter, die ihren mädchenhaften Körper in den Illustrierten zur Schau stellt. Sophia Loren präsentiert den auf den Pirelli-Kalender abonnierten Lastwagenfahrern ihr spektakuläres Dekolleté. Im „Paris-Match“, der französischen „Gala“, erklärt Charlotte Rampling in wohlgesetzten Worten, dass man das Altwerden akzeptieren muss und wie viel Freude die großmütterliche Existenz ihr bringt. Illustration: la Rampling, nackt in Netzstrümpfen und Pelzmantel, die Lippen in einem orgasmischen Stöhnen leicht geöffnet.

Die Arme meiner Nachbarin mit dem rosa Badeturban zittern in den aufgewühlten Wassern des Whirlpools wie ein Erdbeerpudding von Dr. Oetker. Die Margerite auf dem Schlüsselbein ihrer Freundin verwelkt zusehends. Sie sprechen über Botox, Hormone, Anti-Aging-Cremes, Liften ... das ganze Arsenal derer, die alt werden, ohne es zu zeigen. Im Hintergrund das durchdringende Kreischen der Kinder. Mit einem Pfiff kündigt der Bademeister die Öffnung des Sprungturms an. Die Jugendlichen strecken die Brust heraus und geben sich gelangweilt. Sie als Einzige träumen davon, älter auszusehen.

Aber ein boshafter Teufel hat unseren gemeinsamen Kochkessel kräftig umgerührt. Im Handumdrehen ist unsere Zufallsgemeinschaft gealtert. Unsere Körper sind rot, unsere Hände zerfurcht, unsere Gliedmaßen aufgeweicht und unsere Haut vom heißen Wasser verschrumpelt. Im Dampf wirken unsere Augen glasig, und die Haare kleben uns wie lange gelbe Algen am Schädel. Wir sehen aus wie die schlaffen Garnelen, die leblos an der Oberfläche eines vietnamesischen Feuertopfs treiben. Selbst das Nymphchen im gelben Bikini ist gealtert. Eine Stunde mit uns im Whirlpool vom Stadtbad Schöneberg, und sogar Uschi Obermaier würde aussehen wie 90.

Aus dem Französischen übersetzt von Elisabeth Thielicke.

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