Meinung: Warum wird der öffentliche Dienst wie ein Biotop behandelt?
„Alles neu im öffentlichen Dienst“ vom 10. Februar 2005 Was uns von den Vertretern der Politik und der Verbände als Jahrhundertreform verkauft wird, gerät bei näherer Betrachtung als halbherziger Versuch, das „Biotop – öffentlicher Dienst“ noch vor dem Zugriff des privatwirtschaftlichen Arbeitsmarktes zu retten, wobei das finanzielle Damoklesschwert mit einer nie da gewesenen Rekordverschuldung bereits seit Jahrzehnten über den Köpfen der Steuerzahler schwebt.
„Alles neu im öffentlichen Dienst“
vom 10. Februar 2005
Was uns von den Vertretern der Politik und der Verbände als Jahrhundertreform verkauft wird, gerät bei näherer Betrachtung als halbherziger Versuch, das „Biotop – öffentlicher Dienst“ noch vor dem Zugriff des privatwirtschaftlichen Arbeitsmarktes zu retten, wobei das finanzielle Damoklesschwert mit einer nie da gewesenen Rekordverschuldung bereits seit Jahrzehnten über den Köpfen der Steuerzahler schwebt.
Wo es im Grunde nichts mehr zu verteilen gibt, und z.B. Renten auf Jahre eingefroren sind, werden 300 Euro gezahlt, teure Leistungsprämien vereinbart – alle können mehr, niemand jedoch weniger erhalten. Auch sichert der Bestandsschutz zu, dass ein heute 20-Jähriger bis zur Pensionierung in 45 Jahren (!) alle bisherigen Anrechte behält.
Während die Beschäftigten etwa bei der BVG sofort mit Einkommenseinbußen von sechzehn Prozent zu rechnen haben, genießen die Staatsbediensteten immer noch zahlreiche Privilegien, von denen die meisten Arbeitnehmer in Deutschland nur noch träumen können, wie z.B. Unkündbarkeit nach 15 Dienstjahren, bis zu sechs Monaten Fortzahlung der Bezüge im Krankheitsfall (Rekordkrankenstand im öffentlichen Dienst), Gewährung von Beihilfen zu Sehhilfen, Zahnersatz, zusätzliche Altersversorgung, Gehaltszahlung im Voraus usw. …
Warum wurden eigentlich nur die Arbeitszeit und nicht auch die Tarife dem Ostniveau angeglichen?
Und wann wird endlich die überfällige Reduzierung der Kernaufgaben des Staates im Beamtenrecht angepackt? Auf weitere Reformen kann man wahrscheinlich bis zum Sanktnimmerleinstag warten!
Martin Gerlitz, Berlin-Lichtenrade
Sehr geehrter Herr Gerlitz,
die Beschäftigten im öffentlichen Dienst sind für die Bürgerinnen und Bürger da, und das teilweise rund um die Uhr – ob im Krankenhaus, bei Feuerwehr und Technischem Hilfswerk, im Schneeräumdienst oder in Kindertagesstätten: Wir alle haben etwas davon. Besonders deutlich wird dies bei Katastrophen wie unlängst im Oderbruch. Bei solchen Anlässen werden dann, völlig zu Recht, die Kolleginnen und Kollegen gelobt und geehrt. Wenn es aber dann darum geht, ihre Arbeits- und Einkommensbedingungen zu regeln, werden sie häufig nur noch als Kostenfaktoren zu Lasten des Steuerzahlers gesehen. Dabei versteht es sich doch von selbst, dass diese Menschen für ihren Einsatz auch anständig bezahlt werden.
Die Einkommen im öffentlichen Dienst liegen zum Teil erheblich unter denen der Privatwirtschaft. Das kommt daher, dass wir immer auch die Lage der öffentlichen Haushalte mit berücksichtigt haben. Zudem wurde etwa die Altersversorgung – die es im Übrigen ja auch in anderen Branchen gibt – oder ein besserer Schutz bei Krankheit durch niedrigere Lohnerhöhungen über Jahrzehnte erkauft. Hier ist also eine Gesamtbetrachtung angesagt.
Die Reform des Tarifsystems, die wir in der letzten Woche mit Bund und Kommunen vereinbart haben, ist ein ausgewogener Kompromiss, von dem alle profitieren – die öffentlichen Arbeitgeber, die Bürgerinnen und Bürger und die Beschäftigten: Durch die neue Einkommensstruktur und wegfallende Überstundenzuschläge sparen mittelfristig die Arbeitgeber und damit der Steuerzahler.
Wir haben eine Entgeltgruppe für Ungelernte unterhalb der bislang niedrigsten Gruppe eingeführt, um z.B. Krankenhauswäschereien, Bewachungs- und Reinigungsdienste vor der Privatisierung zu bewahren, mit der auch viele schlechte Erfahrungen gemacht wurden. Erste „outgesourcte“ Dienste werden deshalb schon wieder zurückgeholt. Flexiblere Arbeitszeiten und Leistungsanreize helfen, die Wartezeiten bei der KfZ-Zulassungsstelle zu verkürzen oder bürgerfreundlichere Öffnungszeiten in Schwimmbädern oder Bibliotheken zu ermöglichen. Und die Beschäftigten werden künftig nicht mehr nach Familienstand oder Beschäftigungsdauer bezahlt. Für Jüngere und gut Qualifizierte wird die Bezahlung attraktiver und Leistung und Erfahrung werden die Kriterien fürs Weiterkommen sein. Das macht den öffentlichen Dienst attraktiv für Fachkräfte, die auch künftig dringend gebraucht werden. Die neu eingeführte Leistungsbezahlung wird zusätzlich Anreize für qualitativ hochwertige Dienstleistungen bieten.
Die Einmalzahlungen von 300 Euro jährlich gleichen – so ist zu hoffen – die Preissteigerungen aus, die Gehälter der kommunalen Beschäftigten im Osten werden jedes Jahr um 1,5 Prozent an das Westniveau herangeführt.
Also insgesamt ein Reformwerk, das den Namen verdient und den öffentlichen Dienst bürgernäher und fit für die Zukunft macht.
— Kurt Martin ist Mitglied des Bundesvorstandes der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di und dort für den öffentlichen Dienst zuständig.
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