Von Peter Tiede: Welch ein Sieg!
Die Entscheidung gegen das Bombodrom war nicht mutig, aber Zeichen der Demokratie
Stand:
Die Heide bleibt frei. Die Bundeswehr hat nach exakt 17 Jahren ihre Pläne aufgegeben, den einst sowjetischen Truppenübungs- und Bombenabwurfplatz bei Wittstock im Nordwesten Brandenburgs zu nutzen. Dass dies so gekommen ist, ist in allererster Linie den Menschen der Region zwischen Stechlin und Müritz, zwischen Wittstock, Flecken Zechlin und Neuruppin zu verdanken.
Die Bundeswehr hatte in völliger Verkennung der Lage im Jahre 1992 entschieden, den Platz haben zu wollen. Sie ist dabei nicht einmal auf die Idee gekommen, sich vor Ort ein Bild von der Situation zu machen. Denn: In der Wahrnehmung der Menschen der Region war der Platz längst geschlossen – auch, wenn er das formaljuristisch nicht war –, der Russe war weg, hatte das Tor offen stehen lassen, die Straße zusammen mit dem Landkreis erneuert und links und rechts der Strecke war zumindest notdürftig nach alter Munition gesucht worden. Selbst als die Russen noch auf dem Platz waren, hatten sie mit den Kommunen vor Ort ein Passierscheinsystem erarbeitet, dass es den Bürgern erlaubte, über das Gelände zu fahren – geübt hatten sie schon lange nicht mehr. Für die Menschen der Region, deren Vorfahren die Grundstücke für den Übungsplatz nach dem Krieg teils unter Waffengewalt in den Dorfgasthöfen von Schweinrich und Rossow gegen Pfennig-Beträge abgepresst wurden, war die Möglichkeit zwischen den Dörfchen Schweinrich und Alt Lutterow wieder den direkten Weg statt eines 30 Kilometer langen Umwegs nehmen zu können, eine ganz persönliche, tägliche, wortwörtliche Erfahrung von Freiheit. Von der Ruhe nach dem Ende der Bombenabwürfe durch die rote Armee ganz zu schweigen. Für die Bundeswehr war da kein Platz – zumal die Kommunen längst zivil planten.
Dass der Westen im Osten arrogant aufgetreten sei, hat selten gestimmt. In Sachen Bombodrom aber immer. Von Anfang an ist die Bundeswehr aufgetreten als gäbe es keine Bürgerrechte, als habe sie die Russen höchst selbst vom Platze gefegt. Dies ist ihr auf die Füße gefallen, man hat ihr nichts geglaubt, auch wenn ihre Übungen, weder was die Intensität noch die Laufstärke angeht, nur annähernd das Niveau der Roten Armee erreicht hätten. Hätte die Bundeswehr den Platz nahtlos übernommen – die Bürger hätten die deutschen Tiefflieger als Flüsterjets empfunden. Doch so war es nicht. Und das Schlimmste: Die Bundeswehr wurde in der Region nicht mehr als demokratisch handelnder Teil dieser Republik wahrgenommen. Denn über Jahre hinweg haben Bürger, Unternehmen und die Verwaltungen der Region immer wieder vor Gericht nachgewiesen, dass die Armee des demokratischen Deutschlands den Platz auf nicht rechtstaatliche Weise zu übernehmen gedachte. Planungsrecht? Für die Bundeswehr kein Thema.
Verteidigungsminister Jung ist nun anzurechnen, dass er die Ausweglosigkeit erkannt hat, dass er eingesehen hat, dass das Ziel politisch nicht durchzusetzen ist. Eine große Leistung ist es freilich nicht, im Wahljahr dann auch logisch zu handeln – aber es hebt ihn ab von seinen sozialdemokratischen Vorgängern Scharping (der als Kanzlerkandidat 1994 den Verzicht versprach, es als Minister aber nicht hielt) und Struck.
Am Ende bleibt: Ein nicht hoch genug zu würdigender Sieg für das demokratische und vor allem für das außerparlamentarische Engagement von Bürgern einer ganzen Region, von Bürgern, die es auch geschafft haben, in der Region und im Bundestag parteiübergreifend so hartnäckig wie lange keine Bürgerinitiative mehr für ihre Anliegen zu kämpfen. Es ist ein in der Nachwendegeschichte beispielloser Sieg der Demokratie. Chapeau!
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