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Meinung: Wenn nur der Wähler nicht wäre

Die Politiker trauen sich nicht, für Zuwanderung zu streiten

Aus der Zuwanderung ist eine mehrjährige Quälerei geworden. 2000 begann die Arbeit, 2001 lagen die Positionen auf dem Tisch – ein Gesetz gibt es noch immer nicht. Also dürfte es wohl jemanden geben, der blockiert. Bloss wer? Kein Wunder, dass sich hier die Geister scheiden.

Erster Sündenbock ist die Union. Wir sind faktisch seit Jahrzehnten ein Zuwanderungsland, auch wenn sich das in vielen Herzen noch nicht festgesetzt hat. Nur: Es werden seit dem Hoch Anfang der 90er Jahre immer weniger, die kommen. Dass sich dies ändern muss, sagen alle, Arbeitgeber und Gewerkschaften, Kirchen und Wissenschaft – alle außer der CDU/CSU. Im aktuellen Streit spiegelt sich dies im Zwist um die Punkte-Zuwanderung wider, also jenes Instrument, das Qualifizierten die Tür öffnet, auch wenn sie keinen Arbeitsplatz haben. Diese Arbeitsmigration nach kanadischem Vorbild hat die Konjunkturkrise vereitelt. Bei 4,3 Millionen Arbeitslosen gibt es keine Volkspartei, die nicht einen Stammtischsatz scheut: Wir haben keine Jobs, und die da oben holen die Ausländer rein!

Nun ist auch die SPD eine Volkspartei, und deshalb qualifiziert sie sich als zweiter Sündenbock. Sie getraut sich nämlich nicht, die Unions-Argumente offensiv anzugehen – auch aus Furcht vor dem besagten Stammtisch. Notfalls würden die Sozialdemokraten wohl die Punkte-Zuwanderung opfern, um endlich ein Gesetz zu bekommen. Otto Schily gibt diesen Kurs vor. Es besteht also die Möglichkeit zum Konsens. Denkbar wäre, dass die Arbeitsmigration nach Punktesystem als Option ins Gesetz kommt, die erst aktiviert wird, wenn die wirtschaftliche Lage es erlaubt. Jedenfalls könnten sich SPD und CDU/CSU wohl schon einigen.

Und dies macht die Grünen zum dritten Sündenbock. Ja, ausgerechnet die Grünen, die Erz-Anwälte eines offenen Multikulti-Deutschland mit großzügigen humanitären und weltoffenen ökonomischen Regelungen. Die Grünen fühlen sich in dem Maße von ihrem großen Koalitionspartner verraten, in dem dieser der Union weiter Kompromissbereitschaft signalisiert – auch wenn die CDU/CSU das Punktesystem für erledigt erklärt. Aus Enttäuschung über den Verrat der SPD am gemeinsamen Projekt könnten die Grünen schlussendlich als der wahre Blockierer eines Kompromisses dastehen.

In all diese Überlegungen der Parteien fließt viel taktische Furcht hinein. Und daher ist der eigentliche Sündenbock wohl der vierte. Deutschland, inklusive seiner politischen Führung. Es ist in nun vier Jahren nicht gelungen, das Land von einer neuen Realität zu überzeugen. Einer, in der Wettbewerbsfähigkeit und damit der Wohlstand von morgen etwas zu tun hat mit dem Saldo aus „Brain Drain“ und Zuwanderung. Einer, in der wir Zukunftsfähigkeit verlieren, wenn ein riesiger Prozentsatz der frisch Promovierten sich gen USA verabschieden muss. Einer, in der wir umgekehrt auf bürokratischen Unsinn setzen, wenn beispielsweise in deutschen Hotels Osteuropäer genau so lange beschäftigt werden dürfen, bis sie gut eingearbeitet sind und Deutsch sprechen, genau dann aber das Land verlassen müssen. Einer, in der Gerhard Schröder mit seiner Green Card das ganze Land an der Nase herumführen kann, weil er ein Institut ohne Zukunft mit dem amerikanischen Namen für dessen Gegenteil versieht. Die US-Green-Card ist nämlich die Offerte einer Dauerlösung.

Wir brauchen Zuwanderung, und wir brauchen das neue Gesetz. Nicht zur Lösung unserer demografischen Probleme, aber zu ihrer Dämpfung. Und vielleicht nicht heute, aber spätestens morgen brauchen wir auch die Arbeitsmigration nach dem Punkte-System. Was wir weniger brauchen, ist die Furcht der Politiker vor ihren Wählern.

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