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MEIN Blick: Wozu noch Überzeugungen? Wenn aus Arbeiterführern Verräter werden

Wir erleben sie in vielen Bereichen, Menschen, die vor 40 Jahren das Palästinensertuch trugen und uns heute darauf verpflichten wollen, fest und unverbrüchlich an der Seite Israels zu stehen. Oder jene, deren Ho-Chi-Minh-Gebrüll jede Vorlesung zum Spießrutenlaufen für liberale und konservative Professoren machte und die uns heute des Antiamerikanismus zeihen, wenn wir die Weisheit des Irakkrieges bezweifeln.

Wir erleben sie in vielen Bereichen, Menschen, die vor 40 Jahren das Palästinensertuch trugen und uns heute darauf verpflichten wollen, fest und unverbrüchlich an der Seite Israels zu stehen. Oder jene, deren Ho-Chi-Minh-Gebrüll jede Vorlesung zum Spießrutenlaufen für liberale und konservative Professoren machte und die uns heute des Antiamerikanismus zeihen, wenn wir die Weisheit des Irakkrieges bezweifeln. Immerhin liegen zwischen den damaligen Irrtümern und den heutigen Überkompensationen einige Jahrzehnte.

Dass es in unserer globalisierten Welt auch schneller geht, hat nun ausgerechnet ein ehemaliger Gewerkschaftsführer bewiesen. Dass Norbert Hansen noch vor Dienstantritt die Sichtweisen der Deutschen Bahn, seines neuen Arbeitgebers, so verinnerlicht hat, dass es selbst diesem zu viel wurde, stellt einen neuen Rekord dar. Hatte er doch noch vor Wochen all das verdammt, was er nun – besser bezahlt – umarmt: schnellere Privatisierung, Arbeitsplatzabbau, Rationalisierungen und Lokführer, die auch einmal Zugabteile aufräumen, am besten wohl bei voller Fahrt, schließlich läuft doch sowieso alles automatisch.

Kluge Köpfe machen sich gerne Gedanken über Politikverdrossenheit und Wahlmüdigkeit. Hier haben sie den idealen Anschauungsunterricht dafür, wie jemand den Aufstieg schafft, weil er offensichtlich keine Überzeugungen hat, also bloß funktioniert. Pech nur, dass hier einer überfunktioniert und damit jeglichen Wert für seinen neuen Arbeitgeber verloren hat. Man stelle sich nur einmal Verhandlungen zwischen diesem neuen Arbeitsdirektor und seinen ehemaligen Kollegen von Transnet vor. Schon wenn er den Mund auftut, werden sie die Ohren verschließen. Es stimmt ja, was Talleyrand einst bemerkt hat – Verrat ist nur eine Frage des Datums – , aber selbst dieser Meister der Wandlungen ließ wenigstens einige Jahre vergehen, bevor er nach dem Motto handelte, was schert mich mein Geschwätz von gestern; oder mit Adenauer feiner ausgedrückt: Wer will mich daran hindern, jeden Tag klüger zu werden.

Bei zu kurzem zeitlichen Abstand zwischen den Irrtümern von gestern und der vermeintlichen Läuterung heute liegt der Vorwurf des Renegatentums nahe – und da es sich um einen ehemaligen Gewerkschaftsführer handelt, der noch weniger schmeichelhafte des Arbeiterverräters. Es ist eben nicht so, dass man nur die Seiten wechseln muss, um auch seine Ansichten zu ändern. Wenn Herr Ackermann von Stellenabbau spricht, ist das schon schlimm genug, wenn es ein ehemaliger Arbeiterführer tut, ist es eine moralische Katastrophe. Man wird künftig wissend lächeln, wenn sich die Herren Sommer und Bsirske wieder einmal in die Brust werfen und denken: Das müssen die tun, die haben noch nichts anderes.

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