Meinung: Zu wenige Sorgen, zu wenig Leben
Was der Gefühlshaushalt der Jungen über Deutschland aussagt
Stand:
Es ist natürlich nicht gut, dass Kinder und Jugendliche, denen in diesem Land die Zukunft gehört, darüber unglücklich werden. Es sollte anders sein. Hat Deutschland jetzt ein Problem?
Das Land könnte eins bekommen, wenn es Studien wie der der Unicef zur Situation der Kinder in Industrieländern als politisches Alarmsignal begreift, wie der Präsident des Deutschen Kinderschutzbundes, Heinz Hilgers, es schon von Berufs wegen tut. Die Ergebnisse zeigten, sagt er, „dass die Politik offensichtlich komplett an den Kindern vorbeiarbeitet“. Aber ist es nicht ziemlich gefährlich, sich auf den Gefühlshaushalt Jugendlichen zu verlassen?
Die Unicef ist wichtig. Ihr Wort hat Gewicht. Und auch diesmal wieder kann man nicht darüber hinweggehen, was sie über das Wohlbefinden jener Kinder herausgefunden hat, die in den sichersten und reichsten Länder der Welt leben. Es geht ihnen gut, aber sie fühlen sich schlecht, so sieht es in Deutschland aus.
Warum auch nicht? Denkt man. Es sind eben deutsche Kinder, aufgewachsen in einer Kultur notorischen Unzufriedenseins. Vielleicht sollte man uns besser gar nicht erst nach unseren Gefühlen fragen. Sonst kommt eben nur das heraus: Statt die Leichtigkeit einer Lebensphase zu spüren, in der die eigenen Kräfte sich ausdehnen und wachsen und das Zutrauen in die Fähigkeiten, sich Glück zu verschaffen, die besten Voraussetzungen hat, sieht sich die deutsche Jugend offenbar bereits überlastet. Von den Leistungsansprüchen erdrückt. Dabei ist der materielle Wohlstand so hoch wie kaum sonst in Europa. Trotzdem hat Deutschland seinem Nachwuchs offenbar zu wenig zu bieten.
Obwohl das Land relativ schadlos für den Einzelnen durch die Eurokrise gekommen ist, bestätigen Umfragen immer wieder das pessimistische Selbstbild der Deutschen. Nichts ist gut genug. Vereinbarkeit von Karriere und Beruf, Arbeitsplatzsicherheit, Kinderbetreuung, Gleichstellung. Für all das Unbehagen gibt es gute Gründe – und ein Grundgefühl.
Es ist das Dilemma der Überflussgesellschaft, dass Gefühle in ihr politisch relevant werden, die den Rahmen des Politischen eigentlich sprengen. Glück ist so ein Gefühl. Noch vor ein paar Jahren wäre niemand auf den Gedanken gekommen, sein persönliches Glück von der Politik oder überhaupt von der Gesellschaft abhängig zu machen. Die 68er Generation wusste von der Überforderung, die ihre Lebensgier darstellte. Darum ging es ihr ja – mehr zu wollen, als möglich war. Das hatte Kraft. Und es zeigte Wirkung. Mit Parolen wie „Unter dem Pflaster liegt der Strand“ politisierten die Rebellen der Studentenbewegung eine Sehnsucht, die von keiner Enquetekommission der Welt gestillt worden wäre.
Da es in Deutschland von all den Dingen, die von Maschinen produziert, die geerntet und konsumiert werden können, mehr als reichlich gibt, und es materielle Not für die meisten Jugendlichen nicht mehr gibt, werden Marken immer wichtiger. Und mit ihnen das Lebensgefühl, das sie transportieren. Denn davon gibt es immer zu wenig. So kann sich ein Jugendlicher, der alles hat, trotzdem unglücklich fühlen, weil Gefühle zu einer Ware geworden sind, die er sich leisten können muss.
Markenwaren sind teurer als andere. Für das richtige Gefühl muss man deshalb mehr Leistung erbringen. Die Jugend hat offenbar durchschaut, dass sie sich im Kreis dreht, wenn sie für kleine Glücksgefühle härter arbeiten muss. Zumal in einem Land ohne starke innere Bindungskräfte.
Es ist nicht ganz falsch, im Ergebnis der Unicef-Studie einen Trend bestätigt zu sehen, der in Deutschland besonders stark ausgeprägt ist: Das Gerechtigkeitsempfinden ist gestört. Seit mit der Agenda 2010 eine neue Tektonik des Sozialen etabliert wurde, muss die Jugend annehmen, dass Politik auf ihre Kosten gemacht wird. Ob Schulden- oder Umweltdebatten, immer werden Kosten, die heute entstehen, auf die nächste Generation verlagert, ohne dass es in der Bundesrepublik eine Übereinkunft darüber gäbe, was man als Gemeinschaft erreichen will. Das Selbstbild fehlt, was schon Nietzsche beklagte, als er die Welt vor der Unberechenbarkeit der Deutschen warnte.
Wenn es eins gäbe, ein solches Bild, würde zu viel Einigkeit Jugendliche hierzulande sicher auch nicht glücklicher machen. Wie hat schon Paul Celan gesagt: „Ich war 18 und niemand soll behaupten, es sei die glücklichste Zeit meines Lebens gewesen.“
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