Ukraine: Zurück auf der Landkarte
West gegen Ost, Apparatschik gegen Blondine, Demokratie gegen Stalinismus: Keine dieser Zuschreibungen passt wirklich zu den Präsidentschaftswahlen in der Ukraine. Es war schlicht eine demokratische Wahl in einem demokratischen Land, und beide Kandidaten werden an dem grundsätzlichen Kurs des Landes kaum etwas ändern können.
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West gegen Ost, Apparatschik gegen Blondine, Demokratie gegen Stalinismus: Keine dieser Zuschreibungen passt wirklich zu den Präsidentschaftswahlen in der Ukraine. Es war schlicht eine demokratische Wahl in einem demokratischen Land, und beide Kandidaten werden an dem grundsätzlichen Kurs des Landes kaum etwas ändern können. Das ist vor allem das Verdienst Viktor Juschtschenkos. Zwar irrlichterte der einstige Held der orangen Revolution in den vergangenen Wochen zunehmend durch die Landschaft und wollte die neuen politischen Realitäten nicht zur Kenntnis nehmen und schied deshalb schon in der ersten Runde der Wahlen aus. Trotzdem fällt sein Vermächtnis durchaus positiv aus. In keinem anderen Nachfolgestaat der UdSSR – sieht man vom Sonderfall Baltikum ab – gibt es ein derart hohes Maß an Meinungsfreiheit, eine derart ausgeprägte Streitkultur und derart elementare demokratische Rechte. Juschtschenko hat noch mehr erreicht: Er hat der Ukraine ihre nationale Erinnerung zurückgegeben.
Konsequent arbeitete er die Verbrechen der Sowjetunion auf, machte die Erinnerung an den Holodomor, die von Stalin entfesselte Hungerkatastrophe in den dreißiger Jahren, zum zentralen Element nationaler Erinnerung. Auch die Aussöhnung mit dem Nachbarland Polen und die umstrittene Ehrung des Partisanenführers Stepan Bandera gehören dazu. Im Streit um die Nationalsprache suchte er den Konflikt auch mit den russischsprachigen Landesteilen im Osten und setzte Ukrainisch als Landessprache durch. Gelegentlich ist Juschtschenko dabei über das Ziel hinausgeschossen; auch fehlte ihm für die Bewältigung der Alltagsprobleme des Landes das Gespür und das politische Geschick.
Dass die Ukraine, das flächenmäßig zweitgrößte Land in Europa, aber überhaupt wieder auf der politischen Landkarte als eigenständiger Akteur und nicht als Kolonie Russlands wahrgenommen wird, bleibt Juschtschenkos Verdienst. Sein Nachfolger oder seine Nachfolgerin wird sich daran messen müssen.
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