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Vorn nur Ausstieg! Die Kanzlerin sollte häufiger BVG fahren.

© dpa

Zuwanderungs-Studie: Bewusstes Missverstehen

Holger Bonin gegen Hans-Werner Sinn: Um eine Studie über den Nutzen der Zuwanderung wird ein Streit inszeniert. Dabei sind sich die beiden im Hauptpunkt einig. Ein Kommentar

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

Mitunter geht manchen Medien die Lust am Krawall und an ideologischer Lagerbildung anscheinend über die redliche Schilderung der Fakten. Da wird ein Ökonom zum Säulenheiligen stilisiert, der verbohrten Deutschen endlich nachweist, welchen ökonomischen Nutzen sie von Zuwanderern haben. Und ein anderer, der auf Basis derselben Grunddaten vorrechnet, dass die heute hier wohnenden Ausländer die Staatskasse im Schnitt mehr kosten als die Wohnbevölkerung mit deutschem Pass, wird zum Buhmann gestempelt mit der scheinheiligen Frage, ob er der neue Chefökonom der AfD sei.

Die Unterschiede summieren sich auf 118 400 Euro

Dabei sind die beiden, Holger Bonin vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) und Hans-Werner Sinn vom Ifo-Institut, in den zentralen Fragen der Ökonomie der Zuwanderung ganz nah beieinander. Deutschland brauche Zuwanderer, für die Demografie, den Arbeitsmarkt, die Rentenkassen. Aber es bräuchte höher qualifizierte Zuwanderer als die, die in den vergangenen Jahrzehnten kamen. Konsens finden sie auch bei den beiden Aspekten, die manche Medien als Streitpunkt inszenierten: Rechnet man mit den Zahlen des Jahres 2012, waren die Zuwanderer für die Sozialkassen ein Gewinn, für die Staatskassen hingegen ein Minusgeschäft. Auch deutsche Bürger sind pro Kopf ein Minusgeschäft für den Staat, da der ja generell mehr ausgibt, als er einnimmt. Dieses Pro-Kopf-Minus lag bei den hier wohnenden Ausländern freilich 2012 um 700 Euro höher als bei Deutschen. Im Verlauf eines Lebens summieren sich diese Unterschiede laut Hochrechung auf 118 400 Euro.

Und so mündet eine Debatte, die mit aufklärerischer Absicht begonnen hatte, mal wieder in gegenseitigen Verdächtigungen. Manche reden von einem neuen Beispiel für die angebliche „Lügenpresse“, andere sehen tief sitzende Vorurteile gegen Ausländer am Werk. Was läuft da schief in Kommunikation und gesellschaftlichem Diskurs in Deutschland?

Ende November hatte die Bertelsmann-Stiftung eine Studie über Kosten und Nutzen der Zuwanderung, mit der sie Bonin beauftragt hatte, veröffentlicht. Sie wollte der verbreiteten Angst vor Zuwanderung positive Fakten entgegensetzen: Zuwanderer sind keine Belastung für die Sozialkassen. Sie zahlen mehr hinein, als sie daraus erhalten. Dieser positive Saldo ist in den vergangenen zehn Jahren um über die Hälfte gestiegen. Das liegt einerseits am Arbeitsmarkt: Mehr Ausländer haben einen Job. Zweitens wird ihre berufliche Qualifizierung besser, damit steigen auch die Löhne und in der Folge die Sozialabgaben.

Geld für die Qualifizierung der Ausländer auszugeben, lohnt sich

In der Studie findet sich der Verweis, dass der Saldo für die Staatskasse anders ausfällt, wenn man alle staatlichen Ausgaben pro Kopf einrechnet – nicht aber in der kurzen Pressemitteilung der Stiftung. Die Studie erläutert auch, dass Ausländer im Schnitt eine niedrigere Beschäftigungsquote und geringere Qualifikation haben, niedrige Löhne erhalten und weniger in die öffentlichen Kassen zahlen. Der Pressemitteilung ist das nur indirekt zu entnehmen – über die besagte Hochrechnung, derzufolge Ausländer über die gesamte Lebenszeit pro Kopf 118 400 Euro mehr an Steuern und Abgaben zahlen würden, wenn sie denn im Schnitt dieselbe Ausbildung sowie Jobs und Gehälter wie die Deutschen erreichten. Denn das war die politische Botschaft der Bertelsmann-Stiftung: Der Staat solle mehr Geld für die Qualifizierung der Ausländer ausgeben. Das lohne sich.

Die Resonanz in den Medien war für die Stiftung enttäuschend. Die Pressekonferenz war mäßig besucht. Die Meldungen nahmen zumeist nur die These auf, dass Ausländer pro Kopf und Jahr 3300 Euro mehr Steuern und Sozialabgaben zahlen, als sie an staatlichen Leistungen erhalten. Dieses Medienecho ärgerte Hans-Werner Sinn. In den 3300 Euro seien die allgemeinen Staatsausgaben pro Kopf nicht berücksichtigt, rechnete er Ende Dezember in der „FAZ“ vor. Die jährliche fiskalische Nettobilanz pro Ausländer betrage minus 1800 Euro.

Dies sei kein Dissens mit Bonin; der gebe ein „implizites Finanzierungsdefizit“ von 79 100 Euro im Verlauf eines Lebens an. Sinn betonte, er sei für Zuwanderung. Deutschland müsse sich jedoch um höher qualifizierte Zuwanderer bemühen. Daraufhin warf „Spiegel Online“ Sinn vor, falsch zu rechnen, und fragte, ob er der neue Chefökonom der AfD sei.

Bonin gegen Sinn? Das wirkt destruktiv. Aus dem, was sie verbindet, ergibt sich eine sinnvolle Politik: gezieltes Werben um höher qualifizierte Zuwanderer und eine bessere Ausbildung der bereits hier lebenden Ausländer.

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