Europa: Zwischen G 20 und Pro Reli
Noch wird gestritten, wer beim Nato-Gipfel die Türken bestochen hat, damit sie einem Generalsekretär Rasmussen zustimmen. Merkel, sagt das Merkel-Lager; Obama, sagt das Steinmeier-Lager.
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Noch wird gestritten, wer beim Nato-Gipfel die Türken bestochen hat, damit sie einem Generalsekretär Rasmussen zustimmen. Merkel, sagt das Merkel-Lager; Obama, sagt das Steinmeier-Lager. Bedeutsam ist die Frage deshalb, weil die „New York Times“ berichtet, die Bestechung habe unter anderem darin bestanden, dass zwei suspendierte Kapitel bei den Beitrittsverhandlungen der Türkei mit der Europäischen Union wieder geöffnet werden sollen. Kam das Angebot also von der deutschen Bundeskanzlerin, dann hat sie, um den von ihr mitveranstalteten Nato-Gipfel zu retten, ihre Haltung zur Türkei über Bord geworfen; kam es von Obama, haben sich die Europäer ihre Türkei-Politik von dem amerikanischen Präsidenten vorschreiben lassen. So oder so: Die Frage, ob die Türkei irgendwann der EU beitreten soll, wird inzwischen auf einem weltpolitischen Basar, zwischen Tür und Angel, verhandelt. Das ist neu.
Doch wie es mit der Europäischen Union im Detail weitergeht, ob mit oder ohne Türkei, ob sie weiter wächst oder sich weiter vertieft, ob der Vertrag von Lissabon doch noch durchgesetzt wird oder nicht, wirkt nach den drei Gipfeln fast nebensächlich. Zu deutlich ist in diesen Tagen geworden, dass die Union in eine Strukturkrise geraten ist. In der Vergangenheit wurde die EU als eine politische Einheit gefeiert, die den Nationalstaat überwindet und eine größtmögliche Region politisch zu bündeln vermag. Sie galt, gerade wegen ihrer Struktur, als Modell für eine Weltregierung.
Doch je mehr Weltregierung es wirklich gibt – und sei es nur in Form von zukünftigen G-20-Gipfeln –, desto weniger entscheidend ist möglicherweise eine solche Zwischengröße, wie sie die EU darstellt. Dass die Globalisierung in Wahrheit zu einer Glokalisierung führt, zu einem gleichzeitigem Verstärken von globalen und lokalen Prozessen, ist bekannt. Unklar ist jedoch, mit welchen politischen Strukturen die Welt angemessen auf das Phänomen reagieren soll, dass einerseits die Welt gerettet werden muss und andererseits die Bürger sich per Volksabstimmung immer häufiger direkt einmischen. Dass in London nicht Kommissionspräsident Barroso als Europas Sprecher auftrat, sondern mit Merkel und Sarkozy Vertreter der größten europäischen Volkswirtschaften, zeigt, dass die EU für die Weltrettung zu klein, für Pro Reli aber zu groß ist.
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