
© Marion Kuka
Neues Forschungszentrum gegründet: Das CSR|Berlin will Chemie im Kreislauf denken
Statt auf fernen Kontinenten Löcher in die Erdkruste zu bohren, erscheint es klüger, die Schätze vor unserer Haustür zu bergen: Elektroschrott oder Biomasse.
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Zugegeben, es hat etwas gedauert. Aber inzwischen werden weltweit neue Technologien für nachhaltige Ressourcennutzung entwickelt. Auch Forschende aus der Chemie, den Geo- und den Wirtschaftswissenschaften der Freien Universität sowie aus der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung haben sich zusammengetan, um gemeinsam an neuen Lösungen zu arbeiten. Im April gründeten sie das „Center for Sustainable Resources“ (CSR). Durch enge Kooperationen mit Industriepartnern und der Politik sollen ihre Erkenntnisse schnell in die Anwendung gebracht werden.
Die Gründungsmitglieder fanden über eine neue Chlortechnologie zusammen, die der Chemiker Sebastian Hasenstab-Riedel entwickelt hat. Sie ermöglicht es, das reaktive Chlorgas sicher in Form einer Ionischen Flüssigkeit zu speichern, zu lagern und zu transportieren. „Diese Flüssigkeiten können außerdem Metalle bei niedrigen Temperaturen aus anderem Material herauslösen“, erklärt Hasenstab-Riedel. Gemeinsam mit dem Mineralogen Timm John und dem Polychemiker Rainer Haag will der Gründungsdirektor im Rahmen des CSR das Potenzial der Ionischen Flüssigkeiten weiter erforschen.
Die Rückgewinnung von wertvollen Metallen aus Elektroschrott oder die Isolierung von Erzen aus Minen-Abraum (siehe Artikel links) sind zwei Projekte von vielen. Interessant sei auch das Recycling von Magneten, sagt Sebastian Hasenstab-Riedel. Ferromagnetische Legierungen aus Eisen, Kobalt und Nickel stecken nicht nur in den Elektromotoren von E-Autos oder Festplatten, sondern auch in den großen Permanentmagneten von Windrädern. „Pro Megawattstunde Leistung werden etwa 650 Kilogramm verbaut“, erläutert der Chemiker. Lediglich ein Prozent davon wird bisher recycelt. „Wir fragen uns, wie wir sie vollständig aufarbeiten können und ob es dafür wirklich notwendig ist, die Magneten in ihre Einzelmetalle zu zerlegen.“
Ionische Flüssigkeiten
Ionische Flüssigkeiten entstehen durch Einleiten von Chlor in sogenannte quartäre Ammoniumsalze. Das bedeutet, dass man sie – indirekt – auch als Energiespeicher nutzen kann. Chlorgas (Cl₂) wird für etwa 55 Prozent aller chemischen Produkte benötigt, vor allem für Kunststoffe. Weltweit werden 100 Millionen Tonnen Chlor pro Jahr produziert – und das fortlaufend durch energieintensive Elektrolyse von Kochsalz in Wasser. „Vom gesamten Stromverbrauch in Deutschland im Jahr 2022 gingen 2,3 Prozent allein in die Chloralkali-Elektrolyse“, erklärt Sebastian Hasenstab-Riedel. Bald soll „grüner Strom“ diese Aufgabe übernehmen.
Doch was geschieht bei Flaute und wenig Sonne? „Wir können Chlorgas bei Stromüberschuss erzeugen, in Ionische Flüssigkeiten einleiten und es bei Dunkelflauten wieder entnehmen, um es in die chemische Industrie zurückzuführen.“ Somit könne die Erzeugung flexibilisiert und ein Beitrag zur Netzstabilität des Stromnetzes geleistet werden. Der Forscher hat ausgerechnet, dass 1,7 olympische Schwimmbecken, gefüllt mit diesen Flüssigkeiten, ausreichen würden, um Chlormengen zwischenzulagern, die der Produktion von etwa 5,8 Gigawattstunden Strom entsprechen. „Das ist etwa die Leistung des großen Pumpspeicherwerks im Schwarzwald, für die 4,4 Millionen Kubikmeter Wasser zu Tal rauschen“, sagt Hasenstab-Riedel.
Ein weiteres Thema ist die Gewinnung nachhaltiger Rohstoffe aus Pflanzenabfällen. Glycerin zum Beispiel fällt in großen Mengen bei der Biodiesel-Produktion an. Lignine, komplexe Makromoleküle in pflanzlichen Zellwänden, sind Abfallprodukte der Holzverarbeitung. Beide Stoffe könnten helfen, Erdöl als Grundstoff für Basischemikalien zu ersetzen. „Die Herausforderung besteht darin, Lignin so zu zerkleinern, dass nicht ein ganzer Zoo unterschiedlicher Verbindungen entsteht“, erläutert Sebastian Hasenstab-Riedel, „sondern nur Stoffe, die sich gleich chemisch weiterverarbeiten lassen.“
Palmöl besser als Erdöl?
Die Transformation der chemischen Industrie steht erst am Anfang. „Grüne Chemie“ sei ein wichtiges Konzept, genüge aber allein nicht, betont der Gründungsdirektor des CSR. Dass „bio“ nicht automatisch „nachhaltig“ ist, zeige sich beim Palmöl. Als Rohstoff für Chemikalien sei es natürlich besser als Erdöl, da es pflanzenbasiert ist. Aber riesige Palmölplantagen, für die Regenwald weichen muss, seien keineswegs nachhaltig. „Mit dem CSR wollen wir den Übergang von grüner zu nachhaltiger Chemie schaffen und somit einen Beitrag zur notwendigen Transformation der chemischen Industrie leisten.“
Schon das Produktdesign muss sicherstellen, dass sich die Komponenten später trennen lassen. Auch fest verbaute Lithium-Batterien, etwa in E-Zigaretten oder Kinderspielzeug, sind dann tabu.
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