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Polens Präsident Andrzej Duda und Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg bei einem Brüsseler Treffen der Nato-Verteidigungsminister im Februar 2023.

© REUTERS/Johanna Geron

Philosophie und Krieg: Die Waffen der Vernunft

Warum in der Debatte um den Ukrainekrieg ein Aufsatz von Jürgen Habermas mehr wiegt als tausend Offene Briefe.

Ein Kommentar von Gregor Dotzauer

Stand:

Öffentliche Debatten leben von rationalen Argumenten. Wer bloße Meinungen vertritt, also Standpunkte, die sich nicht intersubjektiv erhärten lassen, muss damit rechnen, an den Rand gedrängt zu werden. Dort aber sammeln sich längst nicht mehr nur die versprengten Reste einer demokratischen Diskurskultur, die allen Beteuerungen zum Trotz eigene Konsenskorridore ausbildet. Dort formieren sich in den sozialen Medien Meinungsmobs, die das Recht auf Gegenrede ad absurdum führen. Jürgen Habermas hat auf die Gefahren dieses „neuen Strukturwandels der Öffentlichkeit“ für eine „deliberative Politik“ in seinem jüngsten Buch aufmerksam gemacht.

Der Philosoph wusste schon bei seiner ersten Einlassung zum Ukrainekrieg im vergangenen April, dass er sich auf einen „schrillen Meinungskampf“ mit „moralischer Erpressung“ eingelassen hatte. Umso mehr gilt dies für seine aktuellen „SZ“-Aufsatz, der mit größtmöglicher Nüchternheit die historische Verpflichtung des Westens analysiert, die Waffenlieferungen an ein Bemühen um kompromiss- und verlustbereite „Verhandlungen“ zu knüpfen, so aussichtslos diese im undefinierten Spannungsfeld von Nicht-verlieren-dürfen und Siegenmüssen der Ukraine derzeit sein mögen. Ein Diktatfrieden ist nicht zu erwarten.

Habermas artikuliert sehr viel klarer als die naiven Friedenstauben von links und rechts, dass die bellizistische Option allein auf Dauer nicht tragen wird. Man könnte ihm höchstens vorhalten, dass er gegenüber dem Rationalen wieder einmal das Agonale unterschätzt. Abgesehen davon, dass auch der vielbemühte „zwanglose Zwang des besseren Arguments“, die seine idealtypische „Theorie des kommunikativen Handelns“ trug, eine paradoxe Spur der Gewalt in sich trägt, geht es in einem Maße um Ehre und Macht, dem reine Vernunft nicht gerecht wird.

Mit seiner gesammelten Autorität stellt sich Habermas mit seinem Plädoyer abermals an die Seite von Bundeskanzler Olaf Scholz. Das fast diffamierende Wort vom „Staatsphilosophen“, das er sich zuletzt als jemand erwarb, der aus der Rekonstruktion von Rechtsstaatlichkeit normative Werte zu entwickeln versucht, hat er dafür gewiss nicht verdient. Es sind die Grünen, die aus ihrer Regierungsverantwortung heraus auf maximales Tempo bei Waffenlieferungen drängen.

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