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Sahra Wagenknecht (Die Linke, l), Politikerin, und Alice Schwarzer, Frauenrechtlerin, stehen im Rheinauhafen am Rhein.

© dpa/Rolf Vennenbernd

Nach Kritik am „Manifest für Frieden“: Russland besiegen – wie soll das gehen?

Es ist leicht, die Petition von Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht als naiv und zynisch zu kritisieren. Was aber fehlt, ist eine Alternative, in der Wort und Tat übereinstimmen.

Ein Kommentar von Malte Lehming

Manchmal tobt jemand gegen andere, um die eigene Ratlosigkeit nicht zu spüren. Die Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht und die Frauenrechtlerin Alice Schwarzer haben am Wochenende ein „Manifest für Frieden“ veröffentlicht. Sie sind gegen weitere Waffenlieferungen an die Ukraine, warnen davor, auf eine „Rutschbahn Richtung Weltkrieg und Atomkrieg“ zu gelangen, fordern sofortige Verhandlungen, in denen beide Seiten Kompromisse machen müssten.

Die Petition wurde bislang von 364.000 Menschen unterschrieben (Stand: Montag, 16 Uhr). Zu den Erstunterzeichnern gehören unter anderem die frühere Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Margot Käßmann, der Journalist Franz Alt, der Schauspieler Henry Hübchen, die Schauspielerinnen Jutta Speidel, Hanna Schygulla und Katharina Thalbach, der CSU-Politiker Peter Gauweiler, die Grünen-Politikerin Antje Vollmer, Martin Sonneborn (Die Partei), der Dirigent Justus Frantz und der Sänger Reinhard Mey. Eine ziemlich diverse Koalition also.

Gegen die politische Kompetenz der Initiatoren des Manifests, Schwarzer und Wagenknecht, gibt es aus guten Gründen Vorbehalte. Schwarzers Hass auf muslimische Männer und kopftuchtragende Frauen – ihr Leib- und Magenthema – ist notorisch und unterscheidet sich rhetorisch kaum von der AfD.

Wagenknecht lobte einst an der Stalinzeit „die Überwindung von Elend, Hunger, Analphabetismus, halbfeudalen Abhängigkeiten und schärfster kapitalistischer Ausbeutung“. Ja, es gibt ein Recht auf Irrtum. Es gibt aber auch eine Pflicht, Irrtümer einzusehen.

Charakterlich eint Schwarzer und Wagenknecht ein gewisser Profilierungsdrang. Doch den teilen sie mit vielen anderen, die in der Öffentlichkeit stehen. Weitaus schwerer wiegt der Vorwurf, ihr Manifest verwehre der Ukraine das Recht auf Souveränität und Selbstbestimmung. Denn der trifft zu.

Das zeugt von moralischer Verkommenheit

Die Unterzeichner lehnen es ab, mit der Angst vor einer Ausweitung des Krieges zu leben. Die Kosten für die Bewahrung ihres Seelenfriedens bürden sie allerdings einzig und allein der Ukraine auf. Das zeugt von moralischer Verkommenheit.

Inhaltlich könnte die Kritik an dem Manifest an dieser Stelle beendet sein. Einfach gar nicht ignorieren, riet Karl Valentin. Umso mehr überrascht die Vehemenz, mit der gegen das Pamphlet polemisiert wird. Es sei ein „Manifest für die Unterwerfung“, Putins Aggression werde bagatellisiert. Es werden historische Vergleiche zum Münchner Abkommen von 1938 gezogen – Appeasement! – und gemutmaßt, was Schwarzer und Wagenknecht wohl 1943 den Aufständischen im Warschauer Ghetto geraten hätten.

Für die „Kanonade auf Spatzen“ (Karl Kraus) wird ganz schweres Geschütz aufgefahren. „Das Blut von ukrainischen Opfern vom Vernichtungskrieg wird ewig an euren Händen kleben“, schreibt der Ex-Botschafter der Ukraine in Deutschland, Andrij Melnyk. Katrin Göring-Eckardt von den Grünen unterstellt den Initiatoren, sie würden befürworten, „dass Putin und seine Leute weiterhin unschuldige Ukrainerinnen und Ukrainer überfallen, einsperren, vergewaltigen und verschleppen“.

„Es ist ein Angriff auf unsere europäische Friedensordnung“

Auch Annalena Baerbock kommt zu Wort. „Was ist das für ein Frieden, wenn man unter russischer Besatzung leben muss, jeden Tag die Sorge hat, dass man kaltblütig ermordet, vergewaltigt oder als Kind sogar verschleppt wird?“ Dann rechtfertigt sie die Waffenlieferungen: „Was wir in der Ukraine tun, damit verteidigen wir auch unsere Freiheit. Es ist ein Angriff auf unsere europäische Friedensordnung. Russland versucht, internationale Regeln in Schutt und Asche zu legen.“

In gewisser Weise erinnert Baerbock an einen ihrer Vorgänger im Amt, Außenminister Joschka Fischer. Als der 1998 den Kosovokrieg rechtfertigen und den Grünen den Pazifismus austreiben musste, berief er sich auf die Lehren aus Auschwitz. „Nie wieder Krieg“ sei nur eine, „Nie wieder Duldung von Verbrechen gegen die Menschheit“ die andere. Den Einsatz von Bodentruppen indes schloss Fischer aus. Zwischen Wort und Tat, Ohnmacht und Macht tat sich eine große Kluft auf. Ein zweites Auschwitz verhindern – ohne Bodentruppen?

Es wird betont, dass sich die Nato niemals hineinziehen lassen dürfe

So auch diesmal. In der Ukraine verteidige der Westen die Nachkriegsordnung, die liberale Demokratie, die Sicherheit Europas, die Charta der Vereinten Nationen, heißt es. Russland, der Aggressor, verübe einen Genozid. Alle besetzten Gebiete müssten zurückgewonnen und befreit werden.

Gleichzeitig aber wird betont, dass sich die Nato niemals in den Konflikt hineinziehen lassen dürfe. Forderungen nach Flugverbotszonen, Kampfjets oder Bodentruppen werden zurückgewiesen. Den Ukrainern wird streng untersagt, mit westlichen Raketen auf russisches Gebiet zu feuern.

„Alles in allem befindet sich der Konflikt in einer Sackgasse“

US-Generalstabschef Mark Milley, der oberste amerikanische Militär, sagte jüngst in Ramstein, aus militärischer Sicht sei es „sehr, sehr schwierig“, in diesem Jahr die russischen Streitkräfte aus „jedem Zentimeter“ der Ukraine zu vertreiben. Das britische Verteidigungsministerium kommt zum Ergebnis: „Alles in allem befindet sich der Konflikt in einer Sackgasse.“

Es fehlt eine vernunftgeleitete Debatte in Deutschland darüber, wie es zu einer Lösung kommen kann, es hilft nichts, reine Waffenlieferungsdebatten zu führen - so unterkomplex darf strategisches Denken nicht sein - es geht schließlich um Tod und Verderben in Kriegen!

Schreibt Community-Mitglied Zweiglein

Als unwahrscheinlich, zumindest für die nahe Zukunft, gilt in Sicherheitskreisen eine Art Afghanistan-Effekt: Irgendwann werde Russland sich zurückziehen, weil der Krieg zu teuer und verlustreich sei und die Volkswirtschaft zusammenbreche. Einem solchen Szenario stehe entgegen, dass die Krim für Russland etwas anderes bedeutet als Kabul.

Ross Douthat, Kolumnist bei der „New York Times“, bringt das Dilemma mit dem Begriff der „moralischen Asymmetrie“ auf den Punkt. Ein vollständiger Sieg über Russland sei nicht zu erwarten. Es laufe folglich auf eine Verhandlungslösung hinaus. Durch die erforderlichen Zugeständnisse aber werde der Aggressor belohnt.

Es ist leicht, das „Manifest für Frieden“ als naiv zu kritisieren. Was aber fehlt, ist eine überzeugende Alternative, in der Wort und Tat übereinstimmen und eine realistische Lageeinschätzung zu moralisch vertretbaren und praktikablen Maßnahmen führt. Darüber müsste gestritten werden. Alles andere sind Parolen.

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