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Am 14. August ist die Regierung Merz 100 Tage im Amt (Kanzlerwahl war 6. Mai) Wir fragen vier Menschen aus dem Volk, was sie von der Regierung halten, was sie sich für die Zukunft von ihr wünschen. V.l.n.r. und o.n.u. Stefanie Bohnerth, Marcus Plättner, Christian Schleicher, Melina Goller

© Gestaltung: Tagesspiegel; Fotos: dpa/ Michael Kappeler; privat (3), Ralph Pache

100 Tage Schwarz-Rot: So blickt Deutschland auf den Start der Regierung

Vier Bürgerinnen und Bürger erzählen, wie sie Merz’ erste Monate im Amt erlebt haben und was sie jetzt von der Regierung erwarten.

Stand:

Vor 100 Tagen schwor Friedrich Merz im Bundestag seinen Amtseid. An diesem Versprechen muss sich jeder Kanzler messen lassen: seine Kraft dem Wohle des Volkes zu widmen, seinen Nutzen zu mehren, Schaden von ihm zu wenden. Wie ist ihm und seiner Regierung das den ersten Monaten gelungen? Nachgefragt bei vier Menschen aus allen Ecken Deutschlands.


„Ich erwarte, dass die Regierung beim Klimaschutz Wort hält“

Melina Goller verbrachte im vergangenen Jahr viel Zeit damit, Vögel zu zählen und Besuchergruppen zu erklären, warum Dünen nicht zum Wandern da sind.

© privat

Melina Goller (19) absolviert ein Freiwilliges Ökologisches Jahr auf der Schutzstation Amrum im Nationalpark Wattenmeer, Schleswig-Holstein.

Wenn ich auf die ersten 100 Tage zurückblicke, dann fällt die Bilanz besser aus, als ich befürchtet hatte. Ich komme aus Sachsen und nach Friedrich Merz’ gemeinsamer Abstimmung mit der AfD hatte ich schon Bedenken. Dass er sich jetzt doch recht klar von ihr abgrenzt, finde ich gut.

Auch das Sondervermögen für die Infrastruktur war ein Schritt in die richtige Richtung. Mir ist wichtig, dass der öffentliche Nahverkehr attraktiver wird oder dass wir wieder mehr Geld in Schulen stecken können. Ich verstehe nicht, wie man so lange alles kaputtgespart hat.

In der Klimapolitik und beim Naturschutz erwarte ich, dass die Regierung Wort hält. Für das Klima ist nichts gewonnen, wenn alle nur schöne Pläne machen, die dann niemand umsetzt. Wenn jetzt davon die Rede ist, wieder mehr auf Kohle und Gas zu setzen, finde ich das wirklich schockierend. Das ist der völlig falsche Weg.


„Die Schonfrist meines Ministers ist vorbei“

Christian Schleicher betreut in Kümmersbruck die Motorradausbildung der Bundeswehr.

© privat

Stabsfeldwebel Christian Schleicher (42) ist als Bundeswehrsoldat beim Kraftfahrausbildungszentrum Kümmersbruck in der bayerischen Oberpfalz stationiert.

Die Regierung ist einige drängende Themen direkt angegangen; das war gut. Aber dort, wo schwierige, vielleicht auch unpopuläre Entscheidungen getroffen werden müssen, fehlt ihr bislang der Mut.

Wir müssen uns in aller Ernsthaftigkeit fragen, ob wir eine funktionierende Armee aufbauen wollen oder nicht. Und wenn die Antwort ja lautet – und ich denke, sie kann nur ja lauten – dann muss die Regierung das auch entschlossen angehen. Es ist gut, dass wir durch die Ausnahme von der Schuldenbremse nun endlich das Material bekommen, das wir dringend benötigen. Aber wir brauchen auch Personal.

Die Entscheidung über den Wehrdienst muss jetzt getroffen werden, nicht irgendwann später. Da braucht es ein verpflichtendes Element, sonst bleiben wir in diesem Land von echter Wehrhaftigkeit meilenweit entfernt. Mein Minister ist nicht erst seit 100 Tagen im Amt, seine Schonfrist ist vorbei. Ich erwarte, dass er jetzt Entschlossenheit zeigt.


„Wir müssen den Mut haben, Dinge anzupacken und auszuprobieren“

Marcus Plättner produziert und entwickelt in seinem Unternehmen Elektronikbauteile.

© Ralph Pache

Marcus Plättner (44) beschäftigt bei der Plättner Elektronik GmbH knapp 90 Mitarbeiter in Blankenburg, Sachsen-Anhalt.

Ich war erstmal froh, dass diese ewigen Streitereien der Ampel-Regierung vorbei sind. Das hat viele in der Branche massiv verunsichert und die Bereitschaft zu Investitionen gehemmt. Friedrich Merz kommt ja aus der Wirtschaft, da hatte ich Hoffnung, dass er mehr Verständnis für unsere Situation mitbringt.

Nach 100 Tagen bin ich aber eher enttäuscht. Ich habe nicht das Gefühl, dass es in der Politik überhaupt ein Bewusstsein dafür gibt, was der Mittelstand für Deutschland leistet. Die Betriebskosten explodieren und wir ersticken in Bürokratie. Auf Entlastung warten wir bisher vergeblich. Deutschland braucht dringend einen Impuls für einen wirtschaftlichen Schub. Davon sehe ich nichts.

Auf unserem Dach ist eine PV-Anlage, die könnte morgen in Betrieb gehen. Aber es scheitert an den Genehmigungen. Alles dauert viel zu lange. Wir müssen endlich wieder den Mut finden, Dinge anzupacken und auszuprobieren. Stattdessen wird alles kaputt diskutiert. Vielleicht wird er von seinem Koalitionspartner gehemmt, vielleicht ist Merz aber auch einfach zu alt, um die Innovationskraft aufzubringen, die jetzt notwendig ist.


„Viele ältere Menschen fühlen sich nicht mehr gesehen“

Stefanie Bohnerth ist seit einiger Zeit im Ruhestand. Zuvor arbeitete sie in der Kommunalverwaltung.

© privat

Stefanie Bohnerth (67) lebt als Rentnerin in Saarbrücken, Saarland.

Ehrlich gesagt erkenne ich keinen großen Unterschied zwischen der neuen Bundesregierung und der alten. Die Parteien sollen sich endlich mal vertragen. Die ganze Geschichte rund um die Richterwahlen für das Bundesverfassungsgericht fand ich peinlich, wirklich zum Fremdschämen.

Ich bekomme zum Glück genug Rente, aber das geht längst nicht allen so. Die Renten hier im Saarland sind im Schnitt so niedrig wie nirgendwo sonst in Deutschland. In Saarbrücken finden viele alte Menschen keine bezahlbaren Wohnungen mehr, besonders Frauen. Ich verstehe, dass man die Renten nicht so einfach anheben kann, das ginge ja zulasten der Jüngeren. Aber irgendetwas muss passieren. Wer sein Leben lang gearbeitet hat, muss auch im Alter ein gutes Leben führen können.

Von der Regierung wünsche ich mir, dass sie die Älteren nicht vergisst. Wenn jetzt alles digital wird, kommen viele nicht mehr mit. Es muss auch weiterhin Offline-Angebote geben und es braucht Stellen, an denen älteren Menschen bei Problemen geholfen wird. Viele fühlen sich nicht mehr gesehen.

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