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1000 Stockhiebe für Blogger Raif Badawi erneut ausgesetzt: Prügel vom Staat

Saudi-Arabien wird wegen der Auspeitschung des Bloggers Raif Badawi international scharf kritisiert. Offenbar hat das dazu geführt, dass die Strafe ausgesetzt wurde - auch die für den morgigen Freitag geplanten 50 weiteren Stockhiebe.

In Saudi-Arabien liest sich die minutiöse Anleitung zur öffentlichen Folter wie folgt: „Männer sollen stehend, in normaler Straßenkleidung und abwechselnd auf Rücken, Schultern, Gesäß und Schenkeln ausgepeitscht werden. Es dürfen nicht mehr als 50 Hiebe pro Tag erfolgen.“ Wahabitische Rechtsgelehrte haben klare Regeln für die Bestrafung durch Stockhiebe auf den Plätzen des Königreichs Saudi-Arabien formuliert. Sie beschreiben detailliert, wie, wo, wann und warum jemand als Strafe geschlagen werden soll. Es klingt ein wenig wie traurige Realsatire, dass „Frauen aus moralischen Gründen nicht öffentlich ausgepeitscht werden sollen“.

Es gibt in Saudi-Arabien kein Strafgesetzbuch

Ein wichtiger Bestandteil der saudischen Strafregeln, die nicht in Form eines Strafgesetzbuches, sondern als schriftlich formulierte Lehrmeinungen der Imame existieren, ist das Verbot des Auspeitschens bis zum Tode. Es existieren keine unabhängig dokumentierten Fälle, bei denen Menschen nach der Auspeitschung gestorben sind. Es gibt auch Steinigungen wegen islam- oder regimekritischer Äußerungen oder außerehelichem Sex, diese Fälle sind aber selbst im konservativen Saudi-Arabien die Ausnahme.

Bei der öffentlichen Auspeitschung geht es in erster Linie um die Demütigung der Betroffenen. Das steht auch so in der Anleitung. Wenn es politische Aktivisten sind, soll damit zudem der Willen des „Staatsfeinds“ gebrochen werden. Auch die Abschreckung spielt immer eine wichtige Rolle. Wer schon mal gesehen hat, wie Menschen ausgepeitscht werden, wird sich Gedanken machen, bevor er eine Straftat im Sinne des Wahabismus – der saudischen Staatsreligion – begeht.

Die Strafe wird nicht mit einer Peitsche, sondern einem Stock vollzogen

Das Auspeitschen darf deswegen nicht mit einer Peitsche ausgeführt werden, sondern nur mit einem „flexiblen Stock“. Im Arabischen gibt es dafür ein spezielles Verb, das so viel wie „stocken“ bedeutet. „Es soll wehtun, aber nicht zu sehr“, heißt es in den religiösen Paragrafen. Bleibende physische Schäden sollen nicht entstehen, was aber natürlich nicht garantiert werden kann. Aus gesundheitlichen Gründen kann die Strafe ausgesetzt werden, wie vergangene Woche beim Blogger Raif Badawi geschehen – auch wenn Beobachter davon ausgehen, dass Proteste im In- und Ausland der Grund waren. Wie die Menschenrechtsorganisation Amnesty International am Donnerstag mitteilte, wird die Strafe wohl auch am heutigen Freitag nicht vollzogen. Der 30-jährige Internetaktivist sollte eigentlich in der Hafenstadt Dschidda die nächsten 50 Hiebe erhalten.

Seit 2009 gibt es immer mehr Auspeitschungen

Konkrete Zahlen zur Auspeitschungspraxis gibt es nicht. Allerdings ist seit dem Jahr 2009 ein deutlicher Anstieg zu verzeichnen, wie auch saudische Medien berichten. Die Strafe wird durch lokale wahabitische Richter verhängt. Einige von ihnen werden von Menschrechtlern als „sehr fleißig“ beschrieben. Daher fehlen der Polizei, die für die Ausführung der Urteile zuständig ist, in einigen Städten die Auspeitscher. Es gibt zu viele Urteile und zu wenig Personal, um die vielen Kriterien einzuhalten.

Eine Liste legt fest, wie welche "Vergehen" bestraft werden

Es existiert sogar eine Liste, wie viele Hiebe für welches „Vergehen“ fällig werden:

– Schwere Vergehen von Minderjährigen: 15 Hiebe

– Alkohol trinken: 40 Hiebe

– Rückfälligkeit bei Alkohol: 80 Hiebe

– Außerehelicher Sex: 100 Hiebe

– Homosexualität: 500 Hiebe

Inzwischen gibt es im Königreich eine leise Debatte über die Strafe

Immerhin wird in Saudi-Arabien nicht nur über die Zahl der Auspeitschungen, sondern auch über die Art der Bestrafung diskutiert. So melden sich lokale Menschenrechtsorganisationen, aber auch moderate Rechtsgelehrte seit einigen Jahren häufiger zu Wort. Es sei, so sagen die Kritiker, unverhältnismäßig, wenn jemand, der Unzucht getrieben hätte – eines der schlimmsten Vergehen laut wahabitischer Rechtslogik –, 100 Hiebe bekomme, während jemand wie Badawi, der vage die Regierung und Verhältnisse in Saudi-Arabien kritisiert, mit bis zu 1000 Schlägen bestraft werde. Es ist eine leise Diskussion – und bisher ohne sichtbaren Effekt.

Vor der Botschaft Saudi-Arabiens wurde am Donnerstag demonstriert

Am Donnerstag protestierten in Berlin rund 60 Menschen haben am Donnerstag vor der Botschaft Saudi-Arabiens in Berlin. Dazu aufgerufen hatte die Menschenrechtsorganisation Amnesty International. Prominente Unterstützer vor Ort waren Grünen-Chef Cem Özdemir und Schauspielerin Katja Riemann. Auf Plakaten war etwa zu lesen „Freiheit für Raif Badawi“, „Stopp Folter“, „Meinungsfreiheit ist ein Menschenrecht“ und „Raif sofort freilassen“. Während der Protestaktion wurde per Lautsprecher das Geräusch von 50 Stockschlägen eingespielt. Redner verwiesen darauf, dass Saudi-Arabien die Konvention gegen Folter unterzeichnet hat. Die Prügelstrafe sei aber nichts anderes als Folter. Grünen-Chef Özdemir betonte,

im 21. Jahrhundert sei kein Platz für Peitschenhiebe.

Badawis Frau appelliert an König Abdullah

Badawis Ehefrau, Ensaf Haidar, hat an deutsche Politiker appelliert, sich für die Freilassung ihres Mannes einzusetzen. „Ich hoffe, dass die deutsche Politik mich nicht im Stich lässt. Mein Mann hat nur seine Meinung gesagt“, sagte Haidar in einer Sendung der Deutschen Welle in Berlin. Badawi habe „niemanden angegriffen. Wer meint, dass Raif Religion oder Autoritäten verletzt hat, soll das beweisen“, sagte Haidar in „Shabab Talk“ zum Thema „Meinungsfreiheit in Saudi-Arabien“, der im arabischen Programm der Deutschen Welle ausgestrahlt wurde. Sie wolle den saudischen König Abdullah bitten, ihren Mann „sofort freizulassen“. Ihre drei Kinder hätten „sehr darunter gelitten, als sie in Kanada im Fernsehen gesehen haben, wie mein Mann ausgepeitscht wurde“. (mit KNA/epd)

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