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 Afghaninnen und Afghanen mit Aufnahmezusage sind mit einem Linienflug aus der pakistanischen Hauptstadt Islamabad in Hannover ankommen.

© dpa/Moritz Frankenberg

47 Afghanen landen in Hannover: Die Ungewollten kommen

Erstmals seit dem Regierungswechsel ist ein Flieger mit Schutzsuchenden aus Afghanistan in Deutschland gelandet. Die Umstände sind skandalös.

Sebastian Leber
Eine Kolumne von Sebastian Leber

Stand:

Am frühen Nachmittag erreichte der Flieger Hannover. An Bord befanden sich 47 bedrohte Afghaninnen und Afghanen, denen Deutschland die Aufnahme schon vor langer Zeit zugesagt hat – die dann jedoch über Monate in Pakistans Hauptstadt Islamabad ausharren und zuletzt die Abschiebung zurück ins Herrschaftsgebiet der Taliban fürchten mussten. Eine Frauenrechtlerin und ihre zwei kleinen Kinder sind dabei, eine Militärärztin, eine Wissenschaftlerin, ein Regimekritiker.

Am Ende mussten sich alle ihr Recht vor deutschen Gerichten erstreiten.

Es handelt sich um einen Skandal, welcher der deutschen Öffentlichkeit in seinem Ausmaß und seiner Tragweite bis heute weitgehend unbekannt ist.

Die 47 Personen gehören zur Gruppe der rund 2300 besonders bedrohten Afghanen, die über eine Aufnahmezusage der Bundesregierung verfügen. Diese haben sie zum Beispiel erhalten, weil sie den Westen im Kampf gegen die Taliban unterstützten.

Aufgrund der Aufnahmeversprechen sind sie nach Pakistan gereist, um dort wie verlangt ihre Papiere an der deutschen Botschaft abzugeben. Allein für diese Reise, die nötigen Pässe und pakistanischen Visa, haben diese Menschen tausende US-Dollar bezahlt. Womöglich umsonst, denn die Bundesregierung zweifelt inzwischen an, dass alle gegebenen Aufnahmeversprechen tatsächlich „rechtsverbindlich“ sind.

Was die Schutzsuchenden in der deutschen Botschaft erlebten, lässt sich in vielen Fällen als bloße Schikane beschreiben.

Weshalb das Verfahren so lange dauert

Als Dienstleister zur Abwicklung der Vorgänge vor Ort fungiert die GIZ. Sie bringt Schutzsuchende, die es mit einer deutschen Aufnahmezusage nach Pakistan schaffen, in Islamabad unter. Sie organisiert auch die Botschaftstermine, bei denen die Geflüchteten ihre Papiere abgeben, zum Beispiel Pässe, Heirats- und Geburtsurkunden. Nach deren gründlicher Prüfung werden die Personen üblicherweise zum Sicherheitsinterview in die Botschaft geladen. Dort werden sie von Mitarbeitern des Bundeskriminalamts, des Verfassungsschutzes und der Bundespolizei befragt. Erst danach kann das Verfahren abgeschlossen werden.

Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) betont, dass diese Verfahren sicher noch Monate dauern werden, da seine Regierung die Kandidaten jetzt gründlich durchleuchten wolle.

Die Wahrheit ist allerdings, dass die neue Bundesregierung alle bereits terminierten Sicherheitsinterviews kurz nach Beginn ihrer Amtszeit absagen ließ und keine neuen Termine zuließ. Ein für die Koordinierung der Interviews zuständiger Mitarbeiter des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) wurde im Mai von seinem Posten abgezogen und außer Landes gebracht. Seitdem sind keine Sicherheitsinterviews mehr möglich.

Ganz offensichtlich geht es darum, den Betroffenen möglichst viele Steine in den Weg zu legen.

Sebastian Leber

Stattdessen wurden reihenweise Aufnahmezusagen widerrufen, zum Teil mit bizarren oder kryptischen Begründungen. Das Widerrufen funktioniert in der Praxis leichter, solange die Sicherheitsinterviews noch nicht durchgeführt wurden.

Als Grund für einen Widerruf reicht bereits aus, dass eine Antragstellerin es wagt, neben ihrem Original-Ausweis auch eine Kopie dieses Ausweises mit aufs Botschaftsgelände zu bringen, diese Kopie allerdings vorher laminiert zu haben. Das reicht für den Vorwurf der „Dokumentenfälschung“.

Noch einmal: Das Laminieren der Kopie eines Ausweises reicht aus, um Aufnahmezusagen zu widerrufen, für die bedrohte Menschen so vieles riskiert haben.

Und von denen in den meisten Fällen ihr Leben abhängt. Denn wird die Aufnahmezusage widerrufen, bleibt den Betroffenen sieben Tage Zeit, um ihre von der GIZ organisierte Unterkunft zu verlassen. Da die Betroffenen aber schon so lange vor Ort ausharren mussten, sind in der Regel die pakistanischen Visa ausgelaufen.

Manche Betroffene erhalten nach Widerruf ihrer Aufnahmezusage keine Möglichkeit, sich zu wehren. Gegen andere wird ein formelles Widerrufsverfahren eingeleitet. Die Antwortfrist hierfür hat das BAMF allerdings inzwischen deutlich verkürzt – von eigentlich vier Wochen auf nun lediglich zwei Wochen. In manchen Fällen ist es nur eine Woche. Diese drastische Verkürzung hat das BAMF in der Amtszeit der neuen Regierung vorgenommen.

Der Innenminister verbreitet Geraune

Welchen Grund könnte eine derartige Fristverkürzung haben außer der Hoffnung, dass der Betroffene unter Zeitdruck Fehler in seine Antwort einbaut oder erst gar keinen Anwalt findet, der die deutsche Sprache beherrscht, sich des Falles annimmt und fristgerecht antwortet?

Ich habe dazu das BAMF befragt, doch das Amt möchte keine Auskunft geben und verweist an das Bundesinnenministerium. Das beantwortet die Frage bislang ebenfalls nicht.

Ich kann gut nachvollziehen, dass das BAMF schweigt. Denn ganz offensichtlich geht es insgesamt darum, den Betroffenen möglichst viele Steine in den Weg zu legen. Aus Panik davor, jeder Afghane, der jetzt noch in Deutschland eintrifft, könnte eine Nachricht oder gar Bilder produzieren, die rechte Portale wie „Nius“ und natürlich die AfD für weitere Kampagnen zur Spaltung der Bundesrepublik nutzen könnten.

Dieselbe Panik hatte bereits die Vorgängerregierung. Das weiß auch der Bundesinnenminister. Doch statt das Dilemma anzusprechen, verbreitet Alexander Dobrindt lieber Geraune: Irgendetwas könne doch mit den betroffenen Personen nicht stimmen, wenn sogar die Ampelregierung diese so lange warten ließ...
So spekuliert der Minister öffentlich. Anstatt einfach zu sagen, wie es ist: Die Ampel hatte ebenso Angst vor rechten Empörungswellen, und deshalb wurden die Betroffenen in Islamabad auch bereits unter der Ampelregierung schikaniert.

Wegen der Verschleppung durch die deutschen Behörden haben pakistanische Behörden inzwischen begonnen, Afghanen mit deutscher Aufnahmezusage zurück nach Afghanistan abzuschieben. 210 Personen hat es bereits getroffen, die Bundesregierung hat dieser Schritt überrascht.

Die deutsche Weigerung, gegebene Sicherheitsversprechen auch zu erfüllen, ist ein weiterer Beleg dafür, wie massiv sich die politisch Verantwortlichen in Deutschland mittlerweile von Rechtsextremen treiben lassen.

Die Frage ist: Wie viele der eigenen Werte und rechtsstaatlichen Überzeugungen sind diese Verantwortlichen bereit zu opfern für die Hoffnung, dass der Shitstorm, der sowieso kommt, womöglich einen Hauch geringer ausfällt?

Das Verwaltungsgericht Berlin hat deutlich gemacht, wie sehr das Agieren der aktuellen Bundesregierung gegen rechtsstaatliche Prinzipien verstößt. In einem Urteil von Ende August heißt es etwa, das Auswärtige Amt sei einer „bestehenden Verpflichtung zur Visaerteilung, die überdies mittlerweile rechtskräftig festgestellt ist, nicht nachgekommen“ beziehungsweise „grundlos säumig“ geblieben. Das Gericht kritisiert explizit die „zu Tage tretende Beharrlichkeit“, mit welcher die Bundesregierung „die Erfüllung ihrer Verpflichtung“ bislang verweigere.

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