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Politik: Absturz in Karlsruhe?

Köhler hält das Luftsicherheitsgesetz für sinnvoll, aber verfassungswidrig – die Union wird klagen

Von Robert Birnbaum

Der Brief ist kurz und deutlich. „Der Bundespräsident hat erhebliche Zweifel, ob Paragraf 14 Absatz drei des Luftsicherheitsgesetzes mit dem grundrechtlich garantierten Recht auf Leben und der Gewährleistung der Menschenwürde (…) vereinbar ist“, schreibt Horst Köhler an die Bundesregierung und das Parlament. Der Bundespräsident hat das Gesetz geprüft, das im Extremfall dem Bundesverteidigungsminister die Entscheidung über den Abschuss eines Zivilflugzeugs in die Hände legt. Dass die Prüfung lange dauerte, war ein Hinweis. Seit Mittwoch steht fest: Köhler hält das Gesetz in zentralen Punkten für verfassungswidrig.

Unterschrieben hat der Präsident trotzdem, mit der Begründung, das Gesetz enthalte viele wichtige und notwendige Neuerungen zur Terrorabwehr. Aber Köhler rät – wie schon Vorgänger Johannes Rau im Streit um das Zuwanderungsgesetz – dringend zur Klärung vor dem Verfassungsgericht. Dazu wird es denn auch kommen: Bayerns Innenminister Günther Beckstein (CSU) kündigte umgehend eine Klage an, der Chef-Innenpolitiker der Unionsfraktion, Wolfgang Bosbach, plädiert ebenfalls für den Gang nach Karlsruhe. Nächste Woche will die CDU/CSU-Fraktion entscheiden.

Otto Schily findet das – nun ja, überflüssig. Was der Bundesinnenminister nie deutlich sagen würde, so wie er sein Befremden über Köhlers Einspruch ja auch in die diplomatische Formel kleidet, „dass das nicht ganz dem Üblichen entspricht“ und „jeder seinen eigenen Stil“ habe. Schily ist sich mit der Justiz-Kollegin Brigitte Zypries im Kabinett einig. Köhlers Meinung sei zu respektieren – „Wir halten sie aber für falsch.“ Denn der Präsident habe einen Fall betrachtet, den das Gesetz gar nicht erfasse.

Worum geht es? Köhlers Juristen weisen darauf hin, dass das Grundgesetz es verbiete, Leben gegen Leben aufzuwiegen. Der Staat darf keine Unschuldigen töten, um andere Unschuldige zu retten. Schily besteht indessen darauf, dass es um diesen Fall gar nicht gehe. Das Gesetz erfasse als „Extremfall“ das entführte Flugzeug, von dem feststehe, dass ein Terrorist es samt Insassen abstürzen lassen wolle. Das Schicksal der Menschen an Bord sei damit sowieso besiegelt – der Feuerbefehl für den Abfangjäger diene nur dem Zweck, „den zusätzlichen Tod tausender Menschen zu vermeiden.“

Das klingt logisch, hat aber einen Haken. Er liegt in dem Wörtchen „feststeht“. Was, wenn niemand sicher weiß, was ein Kidnapper plant? Dann, so Schilys Logik, darf nicht geschossen werden. Aber ist das nicht der sehr viel wahrscheinlichere Fall? Der Minister selbst erinnert daran, dass vom Anschlag auf das World Trade Center keiner ahnte, bis das Flugzeug einschlug. Hätte also nicht im Gesetz klar stehen müssen, was es erlaubt und was nicht? Wo doch sogar der Bundespräsident die Absicht des Gesetzgebers anders versteht als der Minister? Schily winkt unwirsch ab. „Ich muss nicht in jedes Gesetz reinschreiben, dass das Grundgesetz weiter gilt!“

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