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Das Abtreibungsrecht spaltet Amerika.

© imago images/ZUMA Wire

Abtreibungsdebatte in den USA: Kippt das Grundsatzurteil „Roe v. Wade“?

Der Supreme Court verhandelt über ein Gesetz aus Mississippi, das landesweite Konsequenzen für das liberale Abtreibungsrecht Amerikas haben könnte.

Dass es ernst wird, kann man draußen vor dem Supreme Court in Washington sehen. Hunderte Demonstranten haben sich seit dem frühen Mittwochmorgen versammelt, bewaffnet mit bunten Schildern, T-Shirts, Plakaten. Auf ihnen prangen eindeutige Botschaften wie: „Abtreibung ist Gesundheitsversorgung“, „Schütze mich, ich bin 15 Wochen alt“ oder „Ich bin Pro-Life“.

Studentinnen knien nieder, um zu beten, andere rufen ihre Botschaften in Megaphone. Alle eint: Sie wollen gehört werden. In dem Gebäude des Obersten Gerichts beginnt um zehn Uhr die mündliche Anhörung in einem Fall, der das Potenzial hat, Amerikas liberales Abtreibungsrecht zu kippen.

Konkret geht es um ein Gesetz des Bundesstaates Mississippi, das Schwangerschaftsabbrüche nach der 15. Woche untersagt – selbst im Fall von Abtreibung und Inzest. Bei „Dobbs v. Jackson Womens Health Organisation“ geht es aber letzten Endes um das Grundsatzurteil „Roe v. Wade“ von 1973. Das Gesetz von Mississippi zielt darauf ab, dieses Urteil, das Schwangerschaftsabbrüche landesweit legalisiert und innerhalb des ersten Trimesters zur Privatangelegenheit erklärt hatte, abzuschaffen.

Kann bald jeder Bundesstaat selbst entscheiden?

Würde die neun Richter das Gesetz aus Mississippi stehen lassen, würden sie Bundesstaaten erlauben, ihr Abtreibungsrecht selbst zu gestalten – davor warnt der eine Teil der Demonstranten vor dem Supreme Court.

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Aus Arkansas ist etwa Heather Graham angereist, um für das Recht auf Schwangerschaftsabbrüche einzustehen. „Ich hatte einmal eine Abtreibung. Heute habe ich zwei Töchter und zwei Enkelinnen. Frauen müssen über ihre Familie selbst bestimmen dürfen.“

Sollte „Roe v. Wade“ kippen, werde Arkansas ein noch strengeres Abtreibungsrecht aus Texas kopieren, das Abtreibungen ab dem Moment untersagt, in dem ein Herzschlag festgestellt werden kann, fürchtet die 53-Jährige. Das ist in der Regel ab der sechsten Woche der Fall, zu einem Zeitpunkt, in dem die meisten Frauen noch gar nicht wissen, dass sie schwanger sind. Mehr als 20 Bundesstaaten stehen bereit, ähnlich strenge Gesetze zu erlassen.

Die Aktivistin will, dass alle Abtreibungen verboten werden

Das wäre ganz im Sinne von Stephanie Stone aus Virginia. Die Aktivistin der „Students for Life of America“ demonstriert dafür, dass alle Abtreibungen verboten werden. Für sie beginnt Leben in dem Moment der Befruchtung und muss unbedingt geschützt werden, da kennt die 26-Jährige keinen Kompromiss.

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Jetzt gehe es zwar zunächst um das Gesetz aus Mississippi. Aber nach und nach, in einem Staat nach dem anderen, soll erreicht werden, dass es irgendwann gar keine Schwangerschaftsabbrüche mehr gibt. „Ich bin heute sehr optimistisch, dass das Abtreibungsrecht an die Bundesstaaten zurückgegeben wird. Das wäre der erste Schritt“, sagt Stone.

Nach der knapp zweistündigen Anhörung im Supreme Court deutet sich an, dass dieser Optimismus berechtigt sein könnte. Mehrere der konservativen Richter, die seit der Amtszeit von Donald Trump eine 6:3-Mehrheit haben, äußerten Verständnis für die Argumente der Abtreibungsgegner. So erklärte etwa Samuel Alto, ein Fötus habe „ein Recht auf ein Leben“.

Chief Justice John Roberts, der als einer der moderaten Konservativen gilt, erklärte, die 15-Wochen-Grenze in dem Gesetz von Mississippi gebe Frauen „genug Zeit“, eine Entscheidung zu treffen. Das Gesetz sei keine „dramatische Abkehr“ von der bisherigen Praxis. Ein Urteil des Supreme Court wird im Frühjahr 2022 erwartet.

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