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Für sein Lied „Marionetten“ ist Xavier Naidoo scharf angegriffen worden.

© picture alliance / dpa

Martenstein zum Naidoo-Streit: Als würde man Schulz die Verbrechen Stalins vorwerfen

Gegen Xavier Naidoo tobt gerade der übliche Sturm der Entrüstung. Man kann Songs dumm, rebellisch oder verwerflich finden. Aber damit hat es sich auch schon. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Harald Martenstein

Das Lied „Marionetten“ von Xavier Naidoo ist ziemlich wirr, es scheint, so weit man die Botschaft überhaupt begreifen kann, irgendwie gegen Politiker und eher rechts zu sein. Jetzt tobt der übliche Sturm der Entrüstung. Etliche Radiosender spielen nicht mehr die Liebeslieder von Naidoo, leider sind die Grünen wieder in der ersten Reihe der Verbotsfront. In Mannheim fordern sie, dass die Stadt jede Zusammenarbeit mit ihrem derzeit berühmtesten Künstler beendet. Die Grüne Jugend will ein Auftrittsverbot, ähnlich wie einst die FDJ bei Wolf Biermann, und zwar auch für die Band von Naidoo, die „Söhne Mannheims“, obwohl die den Song weder geschrieben haben noch beabsichtigen, ihn bei Konzerten zu spielen.

Das Ganze erinnert mich ein bisschen an die „Aktion saubere Leinwand“ aus den Fifties, da ging es mit der geistigen Schrotflinte gegen „Sexfilme“, getroffen wurde auch Ingmar Bergman. Die Popmusik ist generell ein Füllhorn an wirren, gewaltverherrlichenden, sexistischen und Anti-Establishment-Texten. Man darf in den Künsten nicht alles wörtlich nehmen – trotz seines Songs „I shot the Sheriff“ hat Bob Marley, so weit bekannt, nie einen Polizeibeamten erschossen, so wenig, wie Naidoo tatsächlich irgendwen „in Fetzen reißen“ will, obwohl diese Formulierung bei ihm vorkommt.

Gegen Bushido ist Naidoo jedenfalls ein Waisenknabe

Man kann gewisse Songs, je nach Geschmack, dumm, rebellisch oder verwerflich finden. Und damit hat es sich auch schon. Gegen Bushido ist Naidoo jedenfalls ein Waisenknabe, nicht mal das Modewort „Ziegenficker“ hat er in den Mund genommen. Seit mindestens 1789 gibt es in der Politik „rechts“ und „links“. Adenauer, Reagan, Thatcher, das waren rechte Politiker, aber doch keine Nazis. Wer „rechts“, und zwar in jeder Spielart, sofort mit „Nazi“ gleichsetzt und nur irgendwie linke Meinungen zulassen will, ist, man muss es leider sagen, ein geistiger Verwandter des Präsidenten Erdogan. Das ist, als ob man Martin Schulz die Verbrechen von Josef Stalin vorwerfen würde.

Naidoo wird jetzt tatsächlich, zum Beispiel auf „Spiegel Online“, vorgehalten, sein Song sei „staatsfeindlich“. Warum verwendet man nicht gleich den historisch bewährten Begriff der „staatsfeindlichen Hetze“? Ich warte täglich darauf, dass jemand fordert, diesen Tatbestand ins Strafgesetzbuch aufzunehmen.

Das Lied ist blöd, für mich gibt es nur einen einzigen möglichen Kommentar zu diesem Vorgang: Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen frei zu informieren. Eine Zensur findet nicht statt. Kunst und Wissenschaft sind frei. So lautet, gekürzt, Artikel 5 des Grundgesetzes. Wann wird dieser Naziparagraf endlich gestrichen?

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