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Andrij Melnyk über Sicherheitsgarantien für die Ukraine: „Ein Papier mit Zusagen ähnlich Artikel 5 des NATO-Vertrags ist nicht genug“
Der ukrainische UN-Botschafter Andrij Melnyk fordert im Interview die Einbindung der Ukraine in ein gesamteuropäisches Verteidigungssystem.
Stand:
Herr Melnyk, es gab Friedensverhandlungen ohne Russland in Berlin. In Miami saß Russland mit am Tisch. Sehen Sie einen Fortschritt für einen näher rückenden Frieden?
Auf jeden Fall können wir von einem gewissen Fortschritt reden, auch wenn die Gespräche sehr kompliziert sind. Viele Anliegen, die für die Ukraine zentral sind, konnten von den Amerikanern berücksichtigt werden. Aber die dicksten Bretter müssen wir erst noch bohren. Wir wollen das Fundament für einen gerechten und dauerhaften Frieden schaffen. Die Ukrainer sehnen sich nach Kriegsende, aber nicht um jeden Preis. Heute befinden wir uns vielleicht in der schwierigsten Phase des Krieges. Trotzdem ist der Eindruck falsch, dass wir mit dem Rücken zur Wand stehen. Unsere Verhandlungsposition ist stark.
Wir haben die blutigsten Schlachten seit Kriegsbeginn.
Andrij Melnyk, ukrainischer UN-Botschafter
Die Ukraine zeigt in vielen Punkten Verhandlungsbereitschaft. Russland macht keine Zugeständnisse. Trotzdem schrieb der US-Sondergesandte Steve Witkoff nach den Verhandlungen in Miami auf X, dass Russland „voll engagiert sei, in der Ukraine Frieden zu bereiten“. Was sagt das über das russisch-amerikanische Verhältnis aus?
Die russischen Verhandler sind klug. Putin weiß ganz genau, wie man seine Kriegsführung fortsetzt, indem man eine angebliche Friedensbereitschaft signalisiert. Und natürlich tut er alles, um Donald Trump davon zu überzeugen, dass er den Krieg angeblich beenden will.
Aber es darf nicht nur auf das geschaut werden, was der Kreml sagt, sondern auch auf die Lage entlang der gesamten Frontlinie. Wir haben die blutigsten Schlachten seit Kriegsbeginn. Auch der russische Terror gegen die Zivilisten geht ununterbrochen mit barbarischer Intensität weiter. Das ist also die echte Antwort auf das Angebot der Amerikaner. Wir hoffen, dass Präsident Trump dieses Täuschungsmanöver früh durchschaut, weitere Sanktionen gegen Moskau einführt und uns Waffen liefert.
Ein Punkt bei den Verhandlungen sind Sicherheitsgarantien. Einen NATO-Beitritt der Ukraine lehnen Russland und die USA ab. Welchen Sicherheitsgarantien kann die Ukraine zustimmen?
Das ist einer der größten Brocken, der immer noch ungelöst ist. Wir sind noch meilenweit von einem Sicherheitskonzept entfernt, das für die Ukrainer hinnehmbar wäre. Es reicht ja nicht, dass Verpflichtungen und Garantien seitens der Europäer und auch der Amerikaner für die Ukraine in einem völkerrechtlichen Vertrag verankert sind. Man muss auch praktische Schritte unternehmen, damit diese Garantien nicht nur leere Worthülsen bleiben.
Ein Papier mit Zusagen ähnlich Artikel 5 des NATO-Vertrags ist nicht genug. Wenn die Russen uns wieder angreifen sollten, aber die Garantiemächte keine konkreten Vorbereitungen für diesen Fall getroffen haben und keine Truppen aus Europa mit einem Backup der Amerikaner stationieren, die im Ernstfall sofort zu Hilfe eilen, dann könnte es zu spät sein.
Welche Rolle kann oder muss Europa bei Sicherheitsgarantien spielen?
Die Europäer sollten in diesem Konzert auf jeden Fall die erste Geige spielen. Nicht nur, wenn es darum geht, die Bestimmungen dieses Friedensvertrages zugunsten der Ukraine zu beeinflussen und unsere gemeinsamen Sicherheitsinteressen dort festzuhalten. Europa sollte auch den Takt vorgeben, wenn es um die permanente Militärpräsenz in der Ukraine geht. Eine Gesamtverteidigung Europas kann in der Zukunft nur funktionieren, wenn die ukrainische Verteidigung vollends in das gesamteuropäische System integriert wird. Das sehen viele meiner Landsleute genauso. Das hätte man schon längst tun müssen.
Was heißt das?
Die Europäer sind in der Lage, eine mit uns gemeinsame Verteidigungsarchitektur – in der Luft und an Land – zu errichten. Die wirtschaftlichen Voraussetzungen sind da. Nur der politische Wille fehlt immer noch. Die Russen verlangen die Begrenzung der ukrainischen Armee. Darüber wird hart verhandelt. Aber es darf kein Veto Russlands auf die Gesamtverteidigung Europas in einem neuen Licht geben.
Wenn wir einen Friedensvertrag abschließen, wird Putin von Europa verlangen, alle Sanktionen aufzuweichen oder gar aufzugeben. Das wäre zu gefährlich, denn die Russen werden in der Lage sein, sich viel schneller auf einen neuen Krieg vorzubereiten. Und um diesen zu verhindern, braucht man eben all diese präventiven Maßnahmen mit boots on the ground [Bodentruppen]. Und zwar in einem Ausmaß, das tatsächlich für die Russen eine wirksame Abschreckung darstellt.
Eine Gesamtverteidigung Europas kann nur funktionieren, wenn die ukrainische Verteidigung voll und ganz in das gesamteuropäische Verteidigungssystem integriert wird.
Andrij Melnyk, ukrainischer Botschafter bei der UN in New York
Es gab Verhandlungen in Berlin und bei den Verhandlungen in Miami waren europäische Vertreter mit am Tisch. Putin hat einem möglichen Treffen mit Macron zugestimmt. Heißt das, die europäische Stimme ist stärker geworden?
Ich glaube schon. Man hat auch in Russland endlich gemerkt, dass Putin es nicht mehr schaffen kann, die Stimme und Interessen Europas zu ignorieren. Die Rhetorik aus dem Kreml ist, dass die Europäer die Kriegstreiber sind, die den Amerikanern den Weg in der Vermittlung schwer machen und gar keinen Frieden wollen.
Und jetzt hat die EU mit Nachdruck gezeigt, dass es gar keinen Deal geben wird, bei dem Europa nicht mit am Tisch sitzt. Es können nur die Akteure erfolgreich vermitteln, die auch starke Trümpfe in der Hand haben, um das Kriegsgeschehen zu beeinflussen. Europa gehört bestimmt dazu. Und das weiß Putin.
Die EU hilft der Ukraine jetzt mit Schulden, statt mit dem eingefrorenen russischen Geld. Diese sind zwar unbefristet eingefroren worden, helfen aber vorerst nicht der Ukraine. Welches Signal geht von der EU mit dieser Entscheidung aus?
Das war ja ein schmerzhafter Kompromiss am Ende eines langen Verhandlungsmarathons in Brüssel. Die erste Reaktion in Kyiw war Erleichterung und Dankbarkeit, weil die gesamte EU uns diese massive 90-Milliarden-Euro-Unterstützung für die nächsten Jahre zugesichert hat. Das war ein wichtiges Signal auch an Russland, dass die Europäer nicht nachlassen, den Ukrainern unter die Arme zu greifen.
Aber gleichzeitig war die Enttäuschung in der ukrainischen Gesellschaft spürbar, weil Putin es dann doch geschafft hat, durch Einschüchterung und Erpressung die Europäer zu spalten und sie davon abzubringen, das eingefrorene russische Staatsvermögen einzusetzen. Die Hauptsache ist, dass die Ukraine sich auch weiterhin auf die EU verlassen und sich erfolgreich verteidigen kann.
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