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Eine lange Autoschlange ist an der russisch-finnischen Grenze in Vaalimaa zu sehen, das in rund drei Stunden von St-Petersburg zu erreichen ist.

© Foto: Reuters/Essi Lehto

Angst vor Einsatz in der Ukraine: Der Landweg ist für viele Russen die einzige Option

Nach der Teil-Mobilisierung steigt die Zahl derer, die sich aus Russland absetzen wollen. Ganz einfach ist das aber nicht – und mitunter gefährlich.

Von Anna Narinskaya

Stand:

Die Übertragung der Rede des russischen Präsidenten Wladimir Putin, in der er im Krieg gegen die Ukraine eine Teil-Mobilmachung ankündigte, war noch nicht einmal beendet, als bereits Websites, die Flugtickets verkaufen, angesichts des Besucheransturms zusammenbrachen.

Innerhalb weniger Stunden stiegen die Flugpreise nach Istanbul – einem der wichtigsten Drehkreuze für Russen, um weiter nach Europa oder in die USA zu kommen – drastisch an. Infolgedessen kosten die Tickets nun mehr als 4000 Euro.

Für die meisten Russen ist das unerschwinglich. Daher versuchen nun viele, auf dem Landweg aus Russland rauszukommen – aber auch das ist alles andere als einfach. Die Länder der Europäischen Union haben die Visa-Erleichterungen für Russen ausgesetzt, andere wollen dies demnächst tun.

Finnlands Außenminister Pekka Haavisto kündigte an, Helsinki werde eine eigene Lösung für die Frage russischer Touristenvisa finden. „Finnland will kein Transitland für Schengen-Visa werden, die andere Länder erteilt haben“, sagte Haavisto dem öffentlich-rechtlichen Rundfunksender Yle zufolge, wie die Agentur dpa berichtet.

Helsinki habe die Visa-Frage mehrmals in der EU angesprochen. Die Grenze zu Russland solle aber nicht komplett geschlossen werden, da es weiterhin legitime Gründe für die Einreise nach Finnland gebe.

Finnland grenzt auf 1340 Kilometern Länge an Russland. Damit hat das nordische Land unter den EU-Staaten die mit Abstand längste Grenze zu Russland.

Finnlands Außenminister Pekka Haavisto

© Foto: Reuters/Ints Kalnins

Wegen der Visa-Probleme sind die visafreien Kaukasusländer Armenien und Georgien derzeit am attraktivsten für Ausreisewillige. So bildete sich zum Beispiel an einem Gebirgspass am russisch-georgischen Grenzübergang über einen Zeitraum von 30 Stunden eine zehn Kilometer lange Warteschlange. In einer Chatgruppe der Wartenden tauschten zeitweise bis zu 100.000 Menschen Tricks und Tipps aus, baten um Hilfe – oder erzählten sich einfach Witze und stritten über politische Fragen.

300.000
Russen sollen mindestens von der Teil-Mobilisierung betroffen sein.

Für junge Männer im wehrpflichtigen Alter kann das bloße Vorzeigen ihrer Papiere an der russischen Grenze mit einer Verhaftung enden. Geheime Chatgruppen sind daher derzeit voll mit Informationen darüber, wie man etwa die Grenze zur Mongolei überquert, ohne gesehen zu werden, oder wie man nach Kasachstan kommt, ohne seinen Pass zu zeigen.

„Steigen Sie in einen der vielen Züge, die täglich nach Kasachstan fahren . Es gibt eine direkte Verbindung nach Kurgan/Tscheljabinsk, die ein Stück der Grenze passiert. In 4,5 Stunden sind Sie im kasachischen Petropavlovsk. Ein Visum benötigen Sie nicht. Einen Reisepass brauchen Sie auch nicht“, schreibt etwa eine Person.

Sollten Ausreisende über einen Pass verfügen, gilt sie folgenden Rat: „Vergewissern Sie sich, dass Sie in Ihrem Reisepass, vor allem am Landübergang, einen eindeutigen Grenzübergangsstempel erhalten. Dies ist wichtig, wenn Sie bei der Bank eine Karte eröffnen wollen. Mit einem russischen Reisepass können Sie keine Karte eröffnen.“

In denselben Chatrooms wird auch Geld für diejenigen gesammelt, die ihre Reise nicht bezahlen können. Außerdem wird kostenlose Rechtsberatung oder eine Unterbringung jenseits der Grenze angeboten.

Bisher gibt es nur wenige Informationen über die Personen, die von den russischen Behörden an der Grenze aufgegriffen werden, weil sie der Teil-Mobilmachung unterliegen sollen. Bislang nachweislich bekannt sind Fälle junger Männer, die unter das offizielle Dekret fallen: Sie haben vor Kurzem ihren Wehrdienst in der russischen Armee abgeleistet und dort eine militärische Spezialisierung erworben.

Zugleich wurden in den vergangen Tagen aber auch Einberufungsbefehle an Personen erteilt, die nach offiziellen Angaben eigentlich nicht davon betroffen sein sollten – etwa Studenten, die noch nie gedient haben, und insbesondere auch Männer in den Fünfzigern.

Nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Agora handelt es sich beim Großteil der Einberufenen um „49-jährige Gefreite und 51-jährige Leutnants“. Auch viele der bei Protesten festgenommenen Demonstranten erhielten direkt auf der Polizeiwache einen Einberufungsbefehl.

Die Unbestimmtheit der Teil-Mobilmachungspraxis verstärkt die Panik und vervielfacht die Gerüchte unter den Russen. Das Gerücht etwa, dass es eine „Geheimklausel“ im Dekret gebe, die besagt, dass die tatsächliche Zahl der Betroffenen nicht wie offiziell angegeben 300.000, sondern eine Million beträgt, hatte eine anonyme Quelle in der Präsidialverwaltung der „Nowaja Gaseta“ bestätigt. Der Kreml bezeichnete den Bericht selbst als „Lüge“.

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