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Ulrich Schellenberg

© picture alliance / dpa

Lobbyisten: Anwalt der Anwälte

Ulrich Schellenberg vertritt als Präsident des Deutschen Anwaltvereins die Interessen seiner Kollegen – und berät die Politik.

Kanzlei, das leitet sich aus dem lateinischen Wort für „Schranken“ ab, und genau deshalb will Rechtsanwalt Ulrich Schellenberg keine Kanzlei betreiben. So verkündet es jedenfalls ein auffälliger Schriftzug im Empfangsraum seiner, nun ja, Kanzlei in einem lichten Stockwerk oberhalb des Kurfürstendamms in Berlin. Schranken, das steht für Beschränkung, etwas, das Schellenberg weder beruflich noch in seiner neuen Eigenschaft als Präsident des Deutschen Anwaltvereins (DAV) zulassen will. Dort steht er seit Kurzem als Nachfolger von Wolfgang Ewer an der Spitze einer durchaus einflussreichen Interessenvertretung, die rund 70 000 Anwälte versammelt.

Wozu brauchen Interessenvertreter eine Interessenvertretung? Ganz einfach, sagt Schellenberg, weil Anwälte nicht auf den Willen ihrer Mandantschaft zu reduzieren sind. Anwälte sind für ihn auch immer Anwälte des Öffentlichen, der gemeinsamen Interessen, wie es auch ihr gesetzlicher Status als „Organe der Rechtspflege“ widerspiegelt. Eine Perspektive, die sich in der Tätigkeit des DAV bündeln soll. „Zugang zum Recht“, so nennt der 55-Jährige ein Kernversprechen des Rechtsstaats, das Anwälte mit erfüllen müssen. So dreht sich für ihn nur ein Teil der Verbandsarbeit um berufspraktische Initiativen, wie sie etwa jetzt, bei der Neuregelung der Stellung von Syndikusanwälten, aktuell sind. Der andere, mindestens gleich bedeutsame Teil gilt dem Gesetz als solchem. „Anwaltsarbeit ist eine handwerkliche Tätigkeit“, betont Schellenberg, entsprechend gehe es dem DAV auch um die handwerkliche Qualität der Legislative. Wer Gesetze fördert, fördert auch die Anwaltschaft, so steht es unumwunden in der Satzung.

„Politik produziert Kompromisse“, lautet die Diagnose des Experten für Erbrecht, der auch als Notar tätig ist. Und Kompromissen sei es zu eigen, dass sie entscheidende Fragen offenließen. Soll aber der Kompromiss in ein Gesetz gegossen werden, müsse es darum gehen, Interpretationsspielräume einzuengen, die Dinge klarzustellen. „Kompromisse rechtsförmlich gestalten“ sagt Schellenberg dazu. Er sieht es pragmatisch: Was klar geregelt ist, darum kann nicht mehr gestritten werden. Ein Musterbeispiel des Scheiterns ist für ihn deshalb die Hartz-IV-Gesetzgebung, welche die wahre Reform nach seiner Ansicht an die Sozialgerichte delegierte, wo nun in zehntausenden Fällen um jeden Euro gerungen wird. Ein Beschäftigungsprogramm auch für Rechtsanwälte, das gibt Schellenberg zu, aber letztlich keines, für das er gekämpft hätte. „Es gibt genug zu tun für Rechtsanwälte“, ist er überzeugt.

Seinen DAV sieht er, wie andere Lobbyisten auch, als Beratung des Gesetzgebers. Doch kann er für seinen Verein das Wort tatsächlich in Anspruch nehmen, nicht nur als Feigenblatt für Unternehmensinteressen, wie man es sich sonst in der Politikbranche oft vorhält. Der DAV gliedert seine Expertise in Ausschüsse, von A wie Anwaltsrecht bis zu Z wie Zivilverfahren, und sucht mit „Gender“ oder „Compliance“ den Anschluss an gesellschaftspolitische wie wirtschaftliche Trends. Seine Vertreter sind als Ansprechpartner ebenso geschätzt wie als Ratgeber in Bundestagsanhörungen. Dabei wird juristisch klar Position bezogen, auch wenn diese, wie der Widerstand gegen die Vorratsdatenspeicherung, im Ergebnis als politisches Votum empfunden wird.

Anwälte sind eine privilegierte Berufsgruppe, daraus macht Schellenberg keinen Hehl. Das Recht schützt sie als Berufsgeheimnisträger. Ein Vorrecht, das dem Mandanten diene, stellt er klar, auch wenn die berufstypische Verschwiegenheit bei manchen den Eindruck erweckt, es gäbe etwas zu verbergen. Jedenfalls machen Privilegien und Sachkunde die Rechtsanwälte auch außerhalb des DAV zu gefragten Ratgebern. Mit aller Deutlichkeit drang dies ins Bewusstsein, als bekannt wurde, wie der damalige Wirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) den Entwurf eines Bankengesetzes an die Großkanzlei Linklaters auslagerte. Schellenberg findet solches Mitmischen legitim – so lange das Fachwissen im Vordergrund steht und Anwälte nicht ihren Job mit dem der politischen Gestalter verwechseln.

Dem politischen Treiben mancher Law Firms ist der Partner einer mittelgroßen Wirtschaftskanzlei, die unter seinem Namen und dem Zusatz „Unternehmeranwälte“ firmiert, eher fern. Er strahlt, was vielleicht auch an der schwäbischen Herkunft liegt, lieber eine gewisse Bodenständigkeit aus und ist durchaus stolz darauf, im selben Büro zu arbeiten, das er einst als Rechtsreferendar zum ersten Mal betreten hatte. Seit 1999 ist er Mitglied im DAV-Vorstand, seit 2003 amtierte er als Vorsitzender des Berliner Anwaltsvereins, für den er Rechtsprojekte an Schulen anschob und kostenlosen Rechtsrat für Bedürftige initiierte.

Nun ist seine Ebene die Bundespolitik, und getreu seiner Devise, dass Recht eine Balance schaffen soll zwischen den Mächtigen und den Schwachen, hat er auch hier ein Anliegen: Wie die Bundesrepublik mit Leuten umgeht, die zu Unrecht eingesperrt waren, hält er für inakzeptabel. Sicher kein Gewinnerthema. Aber gerade deshalb eines, bei dem Lobbyismus nottut.

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