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Groß plakatiert. Doch am 14. Mai geht Erdogan zum ersten Mal seit 20 Jahren nicht als Favorit ins Rennen.

© dpa/Francisco Seco

Appell an Türken in Deutschland: Grüne rufen zur Abwahl Erdogans auf

Die Ökopartei greift direkt in den türkischen Wahlkampf ein – und könnte nach Meinung eines Experten damit ungewollt den autokratischen Präsidenten stärken.

Von Hans Monath

| Update:

Die Grünen wollen in die türkischen Parlaments- und Präsidentenwahlen eingreifen und rufen zur Abwahl des langjährigen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan auf. Allerdings könnte dieser Versuch nach Meinung eines Türkei-Experten genau das Gegenteil des beabsichtigten Ziels erreichen, nämlich eine Stärkung des autokratischen Staatschefs.

„Wir bitten alle in Deutschland ansässigen und in der Türkei wahlberechtigten Menschen, an der Wahl am 14. Mai teilzunehmen und sich für den demokratischen Veränderungsprozess einzusetzen“, heißt es in dem Beschluss des Grünen-Bundesvorstands, der dem Tagesspiegel vorliegt. Zuerst hatte der „Spiegel“ darüber berichtet.

Mit den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen bestehe „nach Jahren der autoritären Führung unter Präsident Erdogan eine echte Chance, zu Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zurückzukehren“.

Die Autoren versichern, die Grünen stünden „fest an der Seite all derer, die in der Türkei für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, Gleichstellung und Menschenrechte kämpfen. Wir verurteilen die Menschenrechts- und Rechtsstaatsverletzungen der vergangenen Jahre, fordern eine sofortige Freilassung aller politischen Gefangenen sowie die Rückkehr zu einem politischen Dialog- und Friedensprozess in der kurdischen Frage.“

Wenn sich eine deutsche Partei in den türkischen Wahlkampf einmischt, löst das eine Gegenreaktion aus.

Yunus Ulusoy, Programmleiter beim Zentrum für Türkeistudien und Integrationsforschung

Weiter heißt es: „Wir weisen die aggressive Außenpolitik der türkischen Regierung entschieden zurück und fordern sie auf, zu einer multilateralen Außen- und Sicherheitspolitik zurückzukehren.

Nach Angaben von Yunus Ulusoy von der Stiftung Zentrum für Türkeistudien und Integrationsforschung in Essen wählen die 1,5 Millionen türkischen Wählerinnen und Wähler, die in Deutschland leben, konservativer als jene, die in der Türkei leben, und stimmen häufiger für Erdogan und seine rechtspopulistische Partei AKP.

 1,5 Mio
türkische Wählerinnen und Wähler leben in Deutschland.

„Wenn sich eine deutsche Partei in den türkischen Wahlkampf einmischt, löst das eine Gegenreaktion aus“, warnte Ulusoy, der im Türkeizentrum das Programm „Migration und Integration im grenzüberschreitenden Raum Deutschland-Türkei“ verantwortet.

Eine mögliche Entwicklung sei, dass Erdogan-nahe Medien in der Türkei den Aufruf der Grünen als Einmischung von außen skandalisierten und Erdogan die Gelegenheit ergreife, sich als Wahrer einer eigenständigen Türkei zu profilieren. „Das konservative Milieu versammelt sich dann stärker hinter Erdogan als zuvor“, erklärte der Experte.

Umfragen zufolge könnten die Wahlen in der Türkei ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen der Koalition von Präsident Erdogan und dem breiten oppositionellen Bündnis „Sechser Tisch“ werden. Präsident Erdogan muss deshalb nach zwei Jahrzehnten an der Macht um seine Wiederwahl fürchten. Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu könnte für ihn gefährlich werden. Kilicdaroglu tritt als gemeinsamer Kandidat für die Allianz aus sechs Oppositionsparteien unterschiedlicher Lager an.

Auch die SPD hatte kürzlich deutlich gemacht, dass sie die türkische Opposition stützt. Ko-Parteichef Lars Klingbeil hatte bei seiner Reise in die Türkei im März Kilicdaroglu zu einem Gespräch getroffen. Einen Aufruf an die wahlberechtigten türkischstämmigen Bürger hat die SPD aber nicht veröffentlicht.

Die türkische Gemeinde wollte den Grünen-Aufruf auf Anfrage nicht bewerten. „Unser Hauptanliegen sind friedlich ablaufende Wahlen“, sagte Bundesvorsitzender Gökay Sofuoglu dem Tagesspiegel. Ein Grund, warum die Wahlen dieses Jahr wesentlich ruhiger stattfinden würden als noch vor fünf Jahren, sei das Ausbleiben von großen Wahlveranstaltungen in Deutschland.

„Wir möchten nicht jede Äußerung aus Deutschland zu den Wahlen in der Türkei kommentieren, aber wir empfehlen den Parteien, die sich so stark für diese Wahlen interessieren, potentielle Wählerinnen und Wähler aus der türkeistämmigen Community nicht durch Polarisierung, sondern durch eine gute Politik abzuholen.“, meinte Sofuoglu. Er fügte hinzu: „Wir sehen, dass das Interesse an Politik da ist. Die Parteien erhalten mehr Zuspruch, wenn sie Instrumente schaffen, die Teilhabe und Zugehörigkeit der Menschen zu Deutschland stärken, zum Beispiel in Form eines modernen Staatsangehörigkeitsrechts.“ 

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