Politik: Aus Akw Forsmark trat jahrelang Radioaktivität aus
Bei dem schwedischem Problemreaktor sollen seit 2004 die Messgeräte defekt gewesen sein
Aus dem Reaktor 1 des schwedischen Atomkraftwerks (Akw) Forsmark ist drei Jahre lang deutlich mehr Radioaktivität ausgetreten, als bisher berichtet. Das Akw wird von Vattenfall betrieben, das auch Kernkraftwerke in Deutschland betreibt. An dem Fehler soll eine undichte Abdeckung schuld sein. Durch sie konnten radioaktive Partikel austreten, die sonst in einem Filter aufgefangen worden wären, der zur Messung von Radioaktivität verwendet wird.
Die radioaktive Emission soll dreimal höher als die offiziell gemessenen Werte gewesen sein. Der Grund: Die Messgeräte sollen seit 2004 defekt gewesen sein, schreibt die Fachzeitschrift „Ny Teknik“. Der nationale Grenzwert sei aber nicht erreicht worden. Dennoch ist Lars Moberg, Forschungschef der Kernenergiesicherheitsbehörde (SKI) beunruhigt: „Das große Problem für uns ist, dass dies so lange Zeit unentdeckt geblieben ist. Man hat ein undichtes System, und niemand bemerkt es“, sagte er dem Radiosender P1.
Umweltminister Andreas Carlgren sorgt sich nun über mögliche Sicherheitsmängel in anderen Akws. „Wenn die Verhältnisse in Forsmark Mal auf Mal schlechter sind, als die Betreiber angegeben haben, muss man sich fragen, was für die anderen Kraftwerke gilt.“ Carlgren kündigte an, Experten der internationalen Atomenergiebehörde (IAEO) einzuladen. Sie sollten Forsmark sowie die andern Reaktoren und die Sicherheitskultur in schwedischen Akw generell überprüfen.
Bei dem 26 Jahre alten Siedewasserreaktor in Forsmark nördlich von Stockholm war es erst im Juli 2006 zu einem „Beinahe-GAU“ gekommen. Zwei von vier Notstromgeneratoren für die Reaktorkühlung versagten nach einem Stromausfall. Nach der Panne wurden vier der zehn Reaktoren des Landes stillgelegt und auf vergleichbare Baufehler überprüft. Ein Sicherheitsbericht, der vor kurzem durchsickerte, warnt vor „unakzeptablen Risiken“, dem „Verfall der Sicherheitskultur“ und betrunkenen Arbeitern im Akw. Kurz danach kamen weitere Mängel ans Licht. Seit Anfang Februar steht der Reaktor wieder still. Der Betreiber, der schwedische Staatskonzern Vattenfall gibt inzwischen Fehler zu. Auch im schwedischen Akw Ringhals kam es im Herbst zu zwei größeren Unfällen. Beide liefen glimpflich ab.
Nach Umfragen schwindet in Schweden die zuletzt breite Akzeptanz für die Kernenergie. Noch die Panne im Juli hatte in Deutschland heftigere Diskussionen ausgelöst als im Land selbst. Heute sind 21 Prozent aller Schweden skeptischer gegenüber Kernkraft als noch vor vier Jahren. Selbst der eher atomfreundliche Umweltminister sagte dem „Svenska Dagbladet“: „Die Bilder aus dem Kontrollraum in Forsmark haben mich daran erinnert, dass die Kernkraft eine gefährliche Technik sein kann, wenn sie nicht funktioniert oder der menschliche Fehler hineinspielt.“ Schweden hatte in einer Volksabstimmung 1979 beschlossen, schrittweise aus der Atomenergie auszusteigen.
Andre Anwar[Stockholm]