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Auch Ausländerämter - hier das in Berlin - liefern Daten ans Ausländerzentralregister.

© Doris Spiekermann-Klaas

Update

Ausländerzentralregister: Datenmassen von Bürgern zweiter Klasse

Das Ausländerzentralregister ist eine der größten amtlichen Datenbanken. Und problematisch, zeigt erneut eine Studie. Ministerin Faeser denkt an Abhilfe.

Vor beinahe 70 Jahren wurde es eingerichtet, damals noch als Kartei, auf der wenig mehr stand als Namen. Inzwischen ist das Ausländerzentralregister eine der größten Datenbanken der öffentlichen Verwaltung in Deutschland: Mehr als 26 Millionen personenbezogene Datensätze über alle, die in Deutschland leben, aber nicht die deutsche Staatsangehörigkeit haben.

Inzwischen enthält es teils hochsensible Daten, neben Wohnadressen auch Asylentscheidungen und deren Begründungen, aus denen sich persönlichste Details herauslesen lassen. Und die, so wenden Kritiker:innen ein, stehen viel zu vielen viel zu offen: Mehr als 16.000 Behörden und öffentliche Einrichtungen haben darauf Zugriff, das sind über 150.000 einzelne Personen in Ämtern, bei der Polizei oder den Geheimdiensten. Und nicht nur bei deutschen. Auch aus dem Ausland sind Zugriffe möglich.

Fremde als Bedrohung der öffentlichen Sicherheit

Haben die Daten von Nichtdeutschen in Deutschland keinerlei Schutz? "Jedenfalls bietet das System des Zentralregisters kaum Schutz", sagt Sarah Lincoln von der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF), die das AZR jetzt einer menschenrechtlichen Prüfung unterzogen hat. Die 2015 gegründete GFF ist eine gemeinnützige Nichtregierungsorganisation, die sich mit juristischen Mitteln für Grund- und Menschenrechte einsetzt, etwa durch strategische Gerichtsverfahren, Verfassungsbeschwerden und Expertisen. Sie gibt auch den jährlichen Grundrechtereport mitheraus.

"Solche Datenmassen so ungeschützt anzulegen, das wäre für Deutsche überhaupt nicht denkbar, sagt Lincoln. Das AZR schaffe schon durch seine schiere Existenz ein "Zweiklassenrecht" im Datenschutz.

Das war von Anfang an so gedacht, wenn auch in einem noch viel harmloseren Ausmaß: Als das AZR 1953 entstand, war die angebliche "Notwendigkeit einer verstärkten Überwachung der Ausländer im Bundesgebiet" der Leitgedanke. Dass von Fremden eine Bedrohung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgehe, "in dieser Tradition steht das AZR von Anfang an", sagte vor Jahren Thilo Weichert, früher Datenschutzbeauftragter in Schleswig-Holstein und einer der besten Kenner der Datei, dem Tagespiegel.

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Aber erst sein riesenhaftes Wachstum und die weiten Zugriffsmöglichkeiten haben das AZR zu dem problematischen Instrument gemacht, das es heute ist und als das es aus allen politischen Lagern kritisiert wird. Geändert hat sich durch die Kritik allerdings bisher nichts.

Schwuler Asylbewerber wurde zwangsgeoutet

So wies der damalige Beauftragte der Regierung Merkel für Flüchtlingsmanagement, Frank-Jürgen Weise, 2017 darauf hin, dass fast ein Viertel der laut AZR ausreisepflichten Ausländer:innen dies gar nicht waren: Sie steckten entweder in einem laufenden Asylverfahren - dies galt für 20 Prozent - oder hatten als EU-Bürger:innen sowieso volles Bleiberecht.

Die politischen Folgen benannte Weise ebenfalls: Solche falschen Daten führten "zu einer verzerrten Debatte über den Umgang mit Ausreisepflichtigen". Der Datenschutzbeauftragte Ulrich Kelber, ein Sozialdemokrat, hat immer wieder kritisiert, dass das Register das wegweisende Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1983 zum Datenschutz unterlaufe.

Während einer Anhörung im Bundestagsinnenausschuss zur jüngsten Änderung des Gesetzes über das AZR - die 43. seit 1994 - kam von den anwesenden Fachleute im letzten Frühjahr ebenfalls harte Kritik am Vorhaben des Hauses Seehofer.

Das ungebremste Datensammeln über Ausländerinnen und Ausländer und der Zugriff auf diese Daten habe sehr konkrete und oft fatale Folgen für deren Leben, denn "das Ausländerzentralregister macht es ausländischen Geheimdiensten und Regierungen sehr leicht, an die Daten von politischen Exilant*innen zu gelangen", schreibt GFF-Autorin Sarah Lincoln in ihrer Untersuchung.

Bei über 150.000 zugriffsberechtigten Personen in deutschen Behörden könne "davon ausgegangen werden, dass auch ausländische Geheimdienste bei Bedarf über Kontaktpersonen an die gewünschten Daten gelangen können". Zumal deutsche Sicherheitsstellen, Geheimdienste oder die Polizei, kaum nachweisen müssen, wofür sie die abgerufenen Daten benötigen. Es genügt, dass sie erklären, sie seien "für ihre Aufgabenerfüllung erforderlich”. "Das ist praktisch keine Einschränkung", sagt Lincoln.

Wie wichtig gerade für Diktaturen oder demokratisch zweifelhafte Regimes die Daten von Landsleuten im Ausland sind, zeigen nach Auffassung der GFF der Mord - im Staatsauftrag - an einem tschetschenischen anerkannten Flüchtling 2019 im Berliner Tiergarten oder die Festnahme des Kontaktanwalts der deutschen Botschaft in der Türkei. Über ihn wollte die Regierung Erdogan an die Daten zu 50 türkischen Asylbewerber:innen in Deutschland kommen.

Manchmal genügt auch, dass ein Datenleck die Familie eines Asylbewerbers informiert: Im vergangenen Frühjahr entschuldigten sich Innenministerium und Auswärtiges Amt für den fatale Weitergabe der Geschichte eines pakistanischen Asylbewerbers. Nachdem sein Vater in Pakistan Details aus dessen Asylverfahren erfuhr und damit auch von der Homosexualität seines Sohnes, brach die Familie den Kontakt zu ihm ab.

Aber auch innerhalb Deutschlands erhöht das AZR den Druck auf Ausländer:innen, deren Daten schon bei leisem Verdacht, sie könnten etwas verbrochen haben, und sei es auch ein Bagatelldelikt, von der Polizei aus dem Register gefischt werden können - anders als bei Deutschen: "Durch die weitgehenden Übermittlungsbefugnisse verstärkt der Gesetzgeber das weitverbreitete rassistische Vorurteil, wonach ein Zusammenhang zwischen Kriminalität und Herkunft besteht", heißt es in der Studie. "Sie sind stärker im Visier", ergänzt Lincoln gegenüber dem Tagesspiegel. "Nur über Ausländer:innen steht eine so große Datensammlung zur freien Verfügung, und dann ist es natürlich verführerisch, auf diesen enormen Datenschatz zuzugreifen.

Die meisten Ausländer:innen können sich gegen ihre Speicherung nicht wehren

Ihre Studie verweist auch auf die Möglichkeiten illegalen Zugriffs, wie sie im Zusammenhang mit der Affäre NSU 2.0 bekannt wurde, den Drohungen gegen Rechtsanwältinnen und Künstlerinnen mit Migrationshintergrund, nachdem deren Daten in Polizeicomputern abgefragt wurden.

"Weite Teile des Ausländerzentralregistergesetzes sind nicht mit den verfassungs- und europarechtlichen Vorgaben zum Datenschutz vereinbar", schreibt die GFF und zitiert ein Gutachten, das der Mainzer Jura-Professor und Fachmann für Datenschutz- und Informationsrecht für sie erstellt hat.

Unter anderem verbietet es die EU-Datenschutzgrundverordnung, die Religionszugehörigkeit zu speichern. Dass demnächst sämtliche, auch frühere, Adressen aller Ausländer:innen gespeichert werden sollen, widerspricht dem Gebot, sparsam und nur nötige Daten zu speichern. Und schließlich seien die Zugriffsrechte von Polizei und Geheimdiensten auf das AZR "in erheblichem Ausmaß verfassungs- und unionsrechtswidrig".

Wie das Datenmonster also zähmen? Im Gespräch mit dem Tagesspiegel sieht Lincoln nur eine drastische Lösung. Bisherige Versuche - zum Beispiel Kontrollstichproben - seien gescheitert. "Unser Ansatz wäre: Der Umfang der Daten muss deutlich reduziert und das Ganze wieder zu einer Datensammlung für die Migrationsverwaltung werden, die es ursprünglich war. Nur die Behörden, die mit Migration zu tun haben, erhalten Zugriff darauf. Eine Asylentscheidung oder deren Begründung lässt sich, wenn die Polizei sie braucht, ja auch dezentral beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge abrufen. Aber dann eben gut begründet."

Die Wirkung von öffentlichem Druck sei dagegen begrenzt, sagt Lincoln. Die meisten, deren Daten dort gespeichert sind, wüssten nicht einmal, dass es das AZR gebe, geschweige denn, was man dort über sie finde und was das für sie bedeutet. "Man bekommt den Eindruck, dass die Bundesregierung diese Unkenntnis der Betroffenen ausgenutzt hat: Sie konnte dadurch das AZR immer weiter ausbauen und die vereinzelt vorgebrachte Kritik ignorieren. Die Betroffenen würden ja nicht dagegen vorgehen."

Ob sich das unter der Ampel ändern wird, ist unklar. Das Bundesinnenministerium deutete aber auf Anfrage des Tagesspiegels mögliche Änderungen an: Soweit das Gutachten des GFF "zu dem Ergebnis kommt, einzelne Rechtsgrundlagen zu Datenspeicherungen im AZR seien möglicherweise zu unbestimmt oder zu weit gefasst, wird das Bundesministerium des Innern und für Heimat (BMI) dies im Einzelnen überprüfen", erklärte ein Sprecher von MInisterin Nancy Faeser (SPD). Ohnedies werde das Ministerium noch in dieser Legislaturperiode untersuchen, ob das AZR effetkiv und sachgerecht sei und auch ohne dass dies ein Gesetz werden müsse, die Qualität der Daten verbessern.

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