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Der Bahnhof von Bad Kleinen.

© dapd

GSG-9-Einsatz: Bad Kleinen: Desaster mit Todesfolge

Die begnadigte Birgit Hogefeld stand im Zentrum der Polizeiaktion von Bad Kleinen gegen die RAF. Nach dem Einsatz in der Kleinstadt lief fast alles schief.

Berlin - Die Aktion trug den Decknamen „Weinlese“. Am Ende sollte die Verhaftung der RAF-Terroristen Birgit Hogefeld und Wolfgang Grams stehen. Ein Schlag gegen die mythenbehaftete „Dritte Generation“ der RAF. Aber am Ende waren Grams und der GSG-9-Beamte Michael Newrzella tot, Bundesinnenminister Rudolf Seiters (CDU) trat zurück, Generalbundesanwalt Alexander von Stahl wurde entlassen, und die Nation diskutierte über einen ungeheuerlichen Verdacht: Hatte ein GSG-9-Beamter den wehrlosen Grams mit einem Kopfschuss hingerichtet?

Am Freitag wurde das düstere Kapitel endgültig abgeschlossen. Hogefeld wurde nach 18 Jahren Haft begnadigt.

Begonnen hatte es am 27. Juni 1993. Bad Kleinen, ein Nest am Schweriner See. 120 Beamte lauern auf Hogefelds Festnahme. Klaus Steinmetz, Insider der radikal-linken Szene und Verfassungsschutzinformant, trifft sich mit Hogefeld, durch einen Glücksfall für die Fahnder stößt auf dem Bahnhof Grams dazu. Hogefeld wird in der Unterführung überwältigt, Grams liegt nach einer wilden Schießerei quer auf einem Gleis, tödlich verletzt durch einen Kopfschuss. Dann beginnt das Informations-Chaos. Weil die Bundesanwaltschaft Steinmetz schützen will, verschweigt sie seine Beteiligung. Das führt zu einem Nachrichtenwirrwarr über die Festnahme. Erst drei Wochen später wird offiziell der Einsatz eines V-Manns eingeräumt. Aber da kursiert längst der Name „Steinmetz“ in den Diskussionen.

Dann der Paukenschlag: Das ARD-Magazin „Monitor“ und der „Spiegel“ präsentieren jeweils eine Zeugenaussage, nach der Grams erschossen wurde, als er auf dem Gleis lag. Beide Aussagen stellen sich als falsch heraus. Der „Monitor“-Mitarbeiter arbeitete nach den Angaben einer Kioskbesitzerin selber eine Erklärung aus und ließ sie von der aufgewühlten Frau unterschreiben. Später dementierte sie diese Angaben, gegenüber der Polizei redete sie völlig konfus. Und der „Spiegel“-Zeuge log in sieben Punkten.

Zwei Dutzend Zeugen sahen, wie zwei Beamte auf dem Gleis Grams bewachten, keiner hatte eine Hinrichtung beobachtet, nicht mal einen einzelnen Schuss nach der Ballerei im Wildweststil hatten sie gehört. Mehrere Gerichte stellten fest, dass Grams Selbstmord begangen habe – vermutlich beim Fallen auf die Gleise. Zuletzt wies der Europäische Menschenrechtsgerichtshof eine Beschwerde von Grams’ Eltern ab.

Trotzdem wabert bis heute der Verdacht vom Mord an Grams, als Rache für Newrzella, den Grams niedergeschossen hatte. Genährt werden solche Thesen durch die Pannen nach der Aktion. Die Pistole eines verletzten GSG-9-Beamten wurde erst nach einer Woche asserviert, Grams’ geschorene Kopfhaare wurden weggeworfen, Grams’ rechter Finger und sein Kopf wurden erst nach der Reinigung fotografiert, damit waren Spuren nicht dokumentiert. Gipfel der Pannen: Die festgenommene Hogefeld trug noch minutenlang ihre gesicherte, aber vorgespannte Waffe. Man hatte erst mal vergessen, sie zu durchsuchen. Zu viele Pannen, ohne dass politische Opfer die Folge gewesen wären.

Fast zynisch, dass Hogefeld sogar noch juristisch einen Sieg über ihre chaotischen Verfolger feiern konnte. Von Stahl hatte öffentlich behauptet, Hogefeld habe den Schusswechsel eröffnet. Die Unwahrheit, sie lag beim ersten Schuss überwältigt am Boden. Hogefelds Anwälte antworten mit einer Widerrufs- und Unterlassungserklärung an von Stahl. Der Generalbundesanwalt unterschrieb.

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