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Die Schlossbrücke in Charlottenburg über die Spree

© Axel Mauruszat / Wikipedia

Berlin wird zur zerteilten Stadt: Marode Brücken sind ein Zeichen für fehlgeleitete Politik

Brücke um Brücke wird zum Sanierungsfall. Da fühlen sich die Menschen im Wortsinn abgehängt – und zwar von der Politik. Das ist gefährlich. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Fabian Löhe

Brücken signalisieren Vertrauen in die Zukunft. Sie sind die Stein gewordene Gewissheit, dass die Gesellschaft in Verbindung miteinander ist. So kann sie wachsen, zusammenwachsen, und zur Bereicherung werden. Brücken überwinden Hindernisse.

Umso schwerer wiegt es, wenn sie selbst zu Hindernissen werden. Ab heute wird die Schlossbrücke in Charlottenburg acht Wochen lang wegen Bauarbeiten für den Autoverkehr in beide Richtungen gesperrt; mit erheblichen Auswirkungen auf den Flughafen Tegel, den eigentlich die Buslinie 109 über diese Strecke an die Innenstadt anbindet. Noch dazu ist es nicht die einzige marode Überführung: Ein zerteiltes Berlin wird für die Bürgerinnen und Bürger aktuell zum großen Ärgernis. Da sind die Allende-Brücke in Köpenick, die Elsenbrücke in Treptow, die Oberbaumbrücke zwischen Kreuzberg und Friedrichshain und die Mühlendammbrücke in Mitte. Man kann sagen, dass das Thema von fundamentaler Bedeutung wird.

Insgesamt haben bis zu 100 der rund 830 Brücken der Stadt Baumängel. Nur gut ein Viertel ist in gutem oder sehr gutem Zustand. Geld wäre da – doch der Sanierungsstau liegt bei 1,3 Milliarden Euro. Auch bundesweit bröckeln die Übergänge. Knapp 40 000 Brücken führen über Bundesstraßen und Autobahnen. Bei etwa einem Drittel werden in naher Zukunft die Reperaturkolonnen anrücken müssen. Und rund 2500 sind schon jetzt akute Problemfälle.

Ist die Brücke nicht passierbar, begegnen die Bürger weniger sich selbst. Sondern besonders dem Staat: Als Teil der Infrastruktur gehören Brücken zur Grundversorgung, zur öffentlichen Daseinsfürsorge des Staates. Sie verbinden ja nicht nur Orte, sondern Menschen. Gerade die Verkehrswege – und damit auch die Brücken – sind Lebensadern einer Gesellschaft. Das geflügelte Wort von den „Schlagadern der Wirtschaft“ wird dem also nur zum Teil gerecht.

Verkettung von Umständen: Umleitung, Stau, Frust

Der Alltag ist darauf ausgerichtet, dass sie zuverlässig zu passieren sind. Bewusst wird ihre Bedeutung meist erst dann, wenn sie eben nicht mehr zu überqueren sind. Wo keine Brücke, da keine Mobilität; und ist Mobilität schwierig, wird Selbstbestimmung eingeschränkt. Räumlich und auch zeitlich können wir alle dann unseren Alltag nicht mehr unabhängig steuern. Stattdessen werden Einzelne wie auch ganze Gruppen abhängig und gesteuert. Es folgt eine Verkettung dieser Umstände: Umleitung, Stau, Frust.

Die Verwundbarkeit der Infrastruktur als Ganzes wird an Brücken offenbar. So macht manch einer an Infrastruktur, die als Indikator des Wandels gilt, Zeichen schwindender Solidarität insgesamt aus. Immerhin soll diese Struktur Maßstab für die Modernität der Gesellschaft sein.

Vielen fühlen sich in ihrer Identität nicht wahrgenommen

Wenn nun aber die scheinbare Selbstverständlichkeit von Infrastrukturen wegbricht, fühlen sich die Menschen schnell alleine gelassen – und zwar von der Politik. Das ist ein Grund dafür, dass sich immer mehr Menschen im Wortsinn abgehängt fühlen, in ihrer Identität nicht wahrgenommen, nicht akzeptiert.

Der US-Politologe Francis Fukuyama hat geschrieben: „Demokratische Gesellschaften zersplittern in Segmente mit immer enger gefassten Identitäten, was die Möglichkeiten gesamtgesellschaftlicher Erwägungen und kollektiven Handelns zunehmend bedroht. Eine solche Entwicklung führt unweigerlich zum Kollaps und zum Scheitern des Staates.“ Zu hoch gegriffen? Schon in der DDR wurde der Verfall der Infrastruktur mit dem maroden Zustand des Staates gleichgesetzt; und dass mangelnder Anerkennung von Gruppen soziale Sprengkraft innewohnt, ist keine Frage. Pendler sind Einzelne – und auch eine dieser Gruppen.

Deshalb wird es umso wichtiger, für unsere Gesellschaft Brücken zu erhalten und neue zu bauen. Die Erhaltung der Infrastruktur darf nicht nur auf dem Papier stattfinden. Vielmehr muss das Geld dort ankommen, wo es wirklich gebraucht wird, nicht zuletzt bei den Brücken. Denn sie sind Bausteine der Identität.

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