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Politik: Blick in den Abgrund

„Katrina“ offenbart die großen sozialen Unterschiede in den USA – und mobilisiert schwarze Politiker

Diese Katastrophe hat eine Hautfarbe. Die meisten Erwachsenen in den Notunterkünften sind Schwarze, ebenso die wimmernden Babys und Kinder auf den Fernsehbildern. Fast ausschließlich Schwarze sind auch die Plünderer, die in New Orleans gefilmt werden. Der Anteil der „afrikanischen Amerikaner“ liegt landesweit bei 12,8 Prozent, in der Stadt New Orleans bei 67 Prozent, unter den Opfern aber vermutlich über 90 Prozent.

So hat in Amerika sehr rasch eine Debatte über die Diskriminierung eingesetzt. Schwarze Politiker erheben den Vorwurf, die Hilfe in New Orleans habe so lange auf sich warten lassen, weil es doch „nur um Schwarze“ gehe. Jesse Jackson, der schwarze Bürgerrechtler, zieht eine Traditionslinie von der Sklaverei in früheren Jahrhunderten und der in Amerikas Süden bis in die 1960er und 70er Jahre praktizierten Rassentrennung bis zur angeblichen Gleichgültigkeit gegenüber dem Leiden der Schwarzen heute. Rassismus sei ein Hauptgrund für den späten Rettungseinsatz, sagt er.

Außenministerin Condoleezza Rice, die prominenteste Schwarze in der Regierung, weist das zurück. „Jedes Leben ist gleichermaßen wertvoll.“ Sie stammt aus Alabama, einem der vom Hurrikan getroffenen Staaten, und reiste am Sonntag in die Notstandsgebiete. Schwarze Delegationen werden jetzt gezielt im Weißen Haus empfangen. Auch Rice hatte man zu Wochenbeginn Herzlosigkeit vorgeworfen, weil sie nach einem Termin in New York ein Tennismatch der US Open besuchte. Ob weißer Präsident oder schwarze Ministerin: In ihrem Vorwurf, „die da oben“ machten Urlaub, während im Süden Amerikaner sterben, machen die Medien keine Rassenunterschiede. Also musste Rice sofort nach Washington, „um die Hilfe aus dem Ausland zu koordinieren“.

Tatsächlich sind die Folgen von „Katrina“ kein Beleg für weit verbreiteten Rassismus. Die Naturgewalten haben allerdings das soziale Gefälle offensichtlich gemacht. Schwarze sind im Zweifel ärmer als Weiße, haben die schlechtere Ausbildung, die billigeren Jobs – und die höhere Quote an Arbeits- und Obdachlosen.

War das Schicksal der Schwarzen den Behörden gleichgültig, als „Katrina“ New Orleans bedrohte und der Bürgermeister die Evakuierung anordnete? Natürlich war besser dran, wer sich in sein Auto setzen, weit wegfahren und sich in ein Hotel einmieten oder bei Verwandten unterkommen konnte. Doch man brauchte weder ein Auto noch Radio oder Fernseher als Informationsquelle, um sich rechtzeitig in Sicherheit zu bringen. Stundenlang fuhren Lautsprecherwagen durch die Straßen, auch die der Armutsviertel. Dort konnte man hören, wo kostenlose Busse zu sicheren Zufluchtsorten fahren.

Im Nachhinein ist es schwer zu verstehen, dass Mütter mit Kindern und Familien mit gebrechlichen Alten die Rettungsangebote ignorierten. Zehntausende in New Orleans, Hunderttausende, wenn nicht Millionen an der Golfküste meinten, sie könnten den Grad der Bedrohung selbst gut genug beurteilen und den Hurrikan zu Hause „ausreiten“. Diese Fehleinschätzung hatte im Falle armer Schwarzer dramatischere Folgen als bei vermögenderen Weißen. Die schlechten Wohngegenden liegen tiefer und wurden als erste überflutet. Und wenn die Ärmeren das Glück hatten, nach dem Abflauen des Orkans per Boot oder Hubschrauber von ihren Dächern gerettet zu werden, landeten sie bestenfalls doch nur in der Hölle des Superdome.

Arme Schwarze sind im Zweifel weder krankenversichert, noch haben sie eine Versicherung für ihre zerstörte Habe. Ihr Alltag in New Orleans war häusliche Gewalt sowie Drogen und Schießereien draußen im Viertel. Ihre Chance, im Gefängnis zu landen, war höher als die, mit Glück und Fleiß sozial aufzusteigen. Die soziale Struktur dieser Gesellschaft war schon lange krank. „Katrina“ hat das nur sichtbar gemacht.

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