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Büffeln in der Borsig-Villa: Die Regierung sucht nach dem Rezept für den Aufschwung
Der Kanzler beordert sein Kabinett für zwei Tage ins Gästehaus des Auswärtigen Amtes, um über Innenpolitik zu sprechen. Die Schwerpunkte: Wettbewerbsfähigkeit und Modernisierung.
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Das Label Außenkanzler mag Friedrich Merz nicht. Ob bei der Botschafterkonferenz, der Generaldebatte oder vor Unternehmern: Zuletzt sah sich der Bundeskanzler immer wieder veranlasst, öffentlich auf die Kritik einzugehen, wonach er sich zu sehr mit der Außen- und zu wenig mit der Innenpolitik beschäftige. Für ihn gehört in Zeiten wie diesen beides zusammen.
Mit dem Ausrichtungsort für eine zweitägige Klausur des Bundeskabinetts unterstreicht er das erneut. Denn anders als seine Amtsvorgänger Angela Merkel (CDU) und Olaf Scholz (SPD) entschied sich Merz nicht für Schloss Meseberg, das Gästehaus der Bundesregierung. Sondern für die Villa Borsig – das Gästehaus des Auswärtigen Amtes.
Hier empfing der Kanzler im Juli auch den französischen Präsidenten Emmanuel Macron für seinen ersten Staatsbesuch in Deutschland. Nun versammelt er dort ab Dienstag die Mitglieder seines Kabinetts. Auf der Tagesordnung stehen vor allem innenpolitische Themen. Im Zentrum des Arbeitstreffens stehen Wettbewerbsfähigkeit und Staatsmodernisierung. Auch die 17. Kabinettssitzung soll noch in dem Anwesen am Tegeler See abgehalten werden.
Schwerpunkt 1: Wettbewerbsfähigkeit
Den Auftakt der Kabinettsklausur am Dienstagmorgen bildet ein Vortrag des Princeton-Ökonomen Markus Brunnenmeier. Er soll der Koalition die Leviten lesen, wo Deutschland in Sachen Wettbewerbsfähigkeit aktuell steht. Allzu positiv dürfte das Bild nicht sein.
Gerade erst haben die führenden Wirtschaftsinstitute ihre Prognosen für die kommenden Jahre veröffentlicht. Zwar soll es kommendes Jahr endlich wieder wirtschaftlich bergauf gehen. Doch für die strukturellen Probleme der deutschen Wirtschaft, wie die Überalterung, den Mangel an Fachkräften, die wachsende Bürokratie sowie die hohe Abgabenlast, hat die Koalition aus Sicht von Ökonomen bisher kaum Antworten vorgelegt.
Kanzleramtschef Thorsten Frei verweist auf das, was man noch vorhat. „Wir starten ein Fitnessprogramm für unser Land“, sagte der CDU-Politiker dem Tagesspiegel. Deutschland müsse runderneuert werden, um seinen Wohlstand zu sichern und die sozialen Versprechen auch in Zukunft erfüllen können.
Weiterer Input dafür, wie das vonstattengehen könnte, soll am Dienstag aus den Ministerien selbst kommen. Es sind Vorträge aus den Häusern Klingbeil (Finanzen), Reiche (Wirtschaft), Schneider (Umwelt) und Schnieder (Verkehr) geplant. Am Nachmittag soll es um die Hightech-Agenda gehen. Den Abschluss des ersten Tages bildet ein gemeinsames Abendessen. Übernachtet wird auf dem Gelände der Villa Borsig – anders als unter Scholz und Merkel in Meseberg – nicht.
Schwerpunkt 2: Staatsmodernisierung
Dabei soll es am Mittwoch schon um 7.30 Uhr mit der Modernisierungsoffensive von Digitalminister Karsten Wildberger (CDU) weitergehen. Sie soll den Staat digitaler und effizienter machen. In einem Gesetzesentwurf von Anfang September, der dem Tagesspiegel vorliegt, ist von fünf Handlungsfeldern die Rede. Es soll spürbar Bürokratie rückgebaut, die Rechtsetzung praxistauglicher, das Personalwesen moderner, die Verwaltung bürgernäher und die IT-Strukturen einfacher werden.
Fachleute sehen den Aufschlag positiv. „Im Vergleich zu den Reformprogrammen der vorangegangenen Legislaturperioden ist das deutlich ambitionierter, umfassender und strategisch angelegter“, sagte Gerhard Hammerschmid, Professor an der Hertie School, dem Tagesspiegel. Entscheidend für den Erfolg seien nun eine geschickte Priorisierung sowie schnelle und erkennbare Umsetzungserfolge.
Auch aus Sicht des Digitalverbands Bitkom enthält der Entwurf eine Reihe wichtiger Maßnahmen, die zu spürbaren Verbesserungen für Bürger und Firmen führen können. Und doch sei die Agenda nur ein Baustein. „Die Erfahrung zeigt, dass die Staatsmodernisierung in Deutschland immer wieder an komplexen föderalen Strukturen, mangelnder Koordination und fehlenden einheitlichen IT-Standards scheitert“, sagte Marc Danneberg dem Tagesspiegel. Aus seiner Sicht muss die Zusammenarbeit zwischen Bund, Ländern und Kommunen neu geordnet werden, um Entscheidungen schneller treffen, Ressourcen gezielter einsetzen und Doppelstrukturen abbauen zu können.
Dass Merz eine grundlegende Neuordnung der föderalen Verwaltung schon am Mittwoch vorstellt, dürfte unwahrscheinlich sein. Und doch kündigte er beim Thema Staatsmodernisierung weitgehende Beschlüsse an. Zumindest Wildbergers Modernisierungsoffensive soll vom Kabinett abgesegnet werden.
Für den Kanzler geht es danach direkt weiter nach Kopenhagen, wo er an einem Treffen des Europäischen Rates teilnehmen wird. Dort soll es einem Regierungssprecher zufolge vor allem um die Verteidigungsfähigkeit der EU sowie die weitere Unterstützung für die Ukraine gehen. Nach zwei Tagen Innenpolitik darf sich der Kanzler im Kreis der Staats- und Regierungschefs wieder um Außenpolitik kümmern.
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