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Thomas Krueger, Präsident der Bundeszentrale fuer politische Bildung, spricht im Juni 2024 bei einer Pressekonferenz.

© Imago/Ipaon

Chef der Bundeszentrale für politische Bildung: „Es nervt mich, dass Ostdeutschen immer öfter eine Opferrolle zugewiesen wird“

Er wurde in Thüringen geboren und war DDR-Bürgerrechtler. Kurz vor seinem Ruhestand ärgert sich Thomas Krüger über „kränkende“ Darstellungen der Menschen im Osten – und fordert „couragierte Ostdeutsche“.

Stand:

Nach einem Vierteljahrhundert an der Spitze der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) geht der Präsident, Thomas Krüger, in den Ruhestand. Vor seinem offiziellen Abschied beklagt der 66-Jährige nun in einem Interview eine zunehmende Opferrolle der Menschen in Ostdeutschland.

„Ein Grund ist, dass viele in den Auseinandersetzungen mit Ostdeutschland oft sehr schnell mit Urteilen um die Ecke kommen und sagen: So sind die Ostdeutschen – rechts oder menschenfeindlich zum Beispiel“, sagte Krüger dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).

„Oft sind diese Darstellungen falsch und wirken daher kränkend.“ Krüger wurde in Thüringen geboren und ist ein früherer DDR-Bürgerrechtler.

Tatsächlich sind die Ostdeutschen nämlich äußerst vielfältig – so wie auch die DDR vielfältig war.

Thomas Krüger, scheidender Chef der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb)

Krüger fügte hinzu: „Auf der anderen Seite nervt es mich mittlerweile gewaltig, dass den Ostdeutschen immer öfter eine Opferrolle zugewiesen wird oder sie sich selbst zuweisen. Tatsächlich sind die Ostdeutschen nämlich äußerst vielfältig – so wie auch die DDR vielfältig war.“

Krüger sagte weiter, es werde übersehen, dass es queere, marginalisierte, kluge und weniger kluge Leute in Ostdeutschland – genau wie in Westdeutschland. „Deshalb gilt es heute, die Ostdeutschen herauszufordern, damit sie die Karten auf den Tisch legen und über eigene Stärken und Schwächen sprechen, ohne das eine stark zu machen und das andere zu übertünchen“, so Krüger. „Dafür braucht es couragierte Ostdeutsche, die das Heft des öffentlichen Diskurses in die Hand nehmen.“

Krüger mahnte zudem, Ostdeutschland weniger mit Westdeutschland als mit anderen mittel- und osteuropäischen Staaten zu vergleichen. „Wäre Ostdeutschland ein eigener Staat, dann müssten wir noch viel stärker nach Mittel- und Osteuropa gucken als jetzt und schauen, wie sich da postkommunistische Gesellschaften entwickeln.“ Da gebe es sehr viele Ähnlichkeiten.

„Gerade unter jüngeren Leuten sieht man durch die Freizügigkeit und Mobilität sehr viel mehr Dynamik als bei den mittleren und älteren Generationen. Und auch wenn die Zustimmung zu rechtspopulistischen Parteien in osteuropäischen Gesellschaften groß ist, kann man sie nicht in eine Ecke stellen. Da ist genauso viel Veränderungsbereitschaft zu sehen.“

Für mich ist Demokratie eine Veranstaltung, in der man ungestraft anderer Meinung sein kann – solange rote Linien beachtet werden.

Thomas Krüger, scheidender Chef der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb)

Krüger rief zu mehr gegenseitiger Toleranz zum Erhalt der Demokratie aufgerufen. „Für mich ist Demokratie eine Veranstaltung, in der man ungestraft anderer Meinung sein kann – solange rote Linien beachtet werden“, sagte er. „Diese roten Linien schreibt uns das Grundgesetz ins tägliche Aufgabenheft.“

Auf die Frage, warum die Fähigkeit, andere Meinungen auszuhalten, heute oft so unterentwickelt sei, antwortete Krüger: „Es könnte sein, dass wir der Demokratie zu viel abverlangt haben an Empowerment und Sichtbarkeit für alle möglichen Formen von Benachteiligung und Marginalisierung.“ Daraus sei „möglicherweise eine Überforderung von Menschen entstanden, die auf die Demokratie zurückwirkt“.

Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) dankte Thomas Krüger für seinen Einsatz.

© Imago/ESDES.Pictures/Bernd Elmenthaler

„Menschenfeindlichkeit, Verachtung von Menschenrechten, Homophobie – solche Positionen überschreiten die roten Linien“, führte Krüger aus. Ansonsten sei es wichtig, „freie und offene Diskurse auszuhalten“.

„Familienangehörige, Freunde oder Nachbarn müssen anderer Meinung sein können als man selbst, ohne dass man nachtragend wird“, mahnte Krüger, der am Freitag offiziell verabschiedet wird. Seine Nachfolge ist bislang nicht geklärt.

Bundeszentrale betreibt seit 2002 den Wahl-O-Mat

Alexander Dobrindt (CSU), der einen neuen bpb-Chef bestimmen muss, zeigte sich überzeugt: „In einer Zeit, in der die Polarisierung der Gesellschaft zunimmt, ist die Arbeit der Bundeszentrale für politische Bildung wichtiger denn je.“

In einer Mitteilung seines Ministeriums heißt es der Agentur dpa zufolge weiter, Dobrindt danke Krüger „für seinen unermüdlichen Einsatz für die politische Bildung und damit letztendlich für die Wehrhaftigkeit unserer Demokratie“. 

Der Bundesinnenminister lobte demnach ausdrücklich auch den unter Leitung von Krüger erfolgreich vorangetriebenen „digitalen Wandel“ der bpb.

Die Bundeszentrale betreibt seit 2002 den sogenannten Wahl-O-Mat, eine Online-Entscheidungshilfe, die Wählerinnen und Wählern bei der Suche nach der Partei, die ihre Positionen am ehesten vertritt, unterstützt. Die bpb betreibt bundesweit drei Standorte: in Berlin, in Bonn und seit 2021 in Gera. (lem)

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