zum Hauptinhalt
Auch Francisca Linconao, spirituelle Autorität der indigenen Gruppe der Mapuche, wird die neue Verfassung Chiles mit ausarbeiten.

© Juan Gonzalez/Reuters

Triumph für Unabhängige und Indigene: Chiles Verfassungskonvent sendet ein Zeichen des Aufbruchs

Das Gremium, das die neue Verfassung Chiles ausarbeiten wird, steht fest. Warum von dem Konvent Hoffnung ausgeht – über Landesgrenzen hinweg. Ein Kommentar.

Anna Thewalt
Ein Kommentar von Anna Thewalt

Stand:

Es könnte der Anfang vom Ende des Neoliberalismus sein. Und das in einem Land, in dem die neoliberale Idee so lehrbuchmäßig umgesetzt wurde, wie in keinem anderen. Von Chile geht derzeit ein Signal der Hoffnung aus, weit über die Landesgrenzen hinaus.

Am vergangenen Wochenende haben die Menschen in dem südamerikanischen Land gewählt, wer in der verfassungsgebenden Versammlung sitzen soll – dem Gremium, dass Chiles neue Verfassung erarbeiten wird. Das Resultat ist eine herbe Niederlage für die rechts-konservative Regierungskoalition des Präsidenten Sebastián Piñera – und ein riesiger Erfolg für die Unabhängigen und die Linke.

Dass es eine neue Verfassung geben soll, war eine der Hauptforderung der Proteste, die ab dem Herbst 2019 das ganze Land erfasst hatten. Nach Wochen heftiger Auseinandersetzungen setzte die Regierung ein Referendum an: Eine überwältigende Mehrheit sprach sich dann im vergangenen Oktober für eine neue Verfassung aus.

Die bisherige stammt noch aus der Zeit der Militärdiktatur Augusto Pinochets und ist maximal marktliberal. Etwa ein Prozent der Bevölkerung Chiles vereinigt ein Drittel des Reichtums auf sich. Wasser, Strom, Bildung und das Gesundheitswesen sind weitgehend privatisiert, die staatliche Rente reicht nicht zum Leben.

Erfolg trotz vieler Hindernisse

Der Triumph der unabhängigen Kandidat:innen – darunter Aktivist:innen und Indigene – ist umso bemerkenswerter, weil die Regierung ihnen Steine in den Weg legte: Unabhängige mussten im Vorfeld eine hohe Anzahl an Unterschriften sammeln, um überhaupt bei der Wahl antreten zu können. Außerdem hielt die Regierung daran fest, dass der neue Verfassungstext eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Konvent braucht.

Nun kommt Piñeras Parteienbündnis auf gerade mal 21 Prozent der Stimmen – und das ein halbes Jahr vor der Präsidentschaftswahl. Die Unabhängigen hingegen werden etwa 40 Prozent der Sitze belegen. So besteht die realistische Chance auf eine Verfassung, die das soziale Wohl aller Menschen ermöglicht.

[Wenn Sie aktuelle Nachrichten aus Berlin, Deutschland und der Welt live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Gleichberechtigte Beteiligung von Frauen und Männern

Zum ersten Mal werden bei einer verfassungsgebenden Versammlung ebenso viele Frauen wie Männer beteiligt sein, zudem sind 17 der 155 Plätze für Vertreter:innen der indigenen Bevölkerung reserviert. 2022 soll die chilenische Bevölkerung über die neue Verfassung abstimmen.

Nun wird es darauf ankommen, dass sich Unabhängige und Linke bei den wichtigsten Punkten abstimmen – etwa was Eigentumsrechte und Grundlagen für ein faireres Rentensystem angeht. Auch in das derzeit von Protesten und Polizeigewalt erschütterte Kolumbien geht mit der Wahl in Chile die Botschaft aus: Sozialer Wandel, der arme und indigene Menschen nicht ausschließt, ist möglich.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })