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Wer arm ist, den macht Corona noch ärmer, zeigt der Datenreport. Arme Kinder verlieren ihre Chancen.

© dpa

Corona verschärft soziale Schieflage: Noch ärmer, noch aussichtsloser

Neue Daten zeigen: Wer einmal arm wurde, bleibt heute länger arm als früher. Und die Pandemie trifft vor allem die, die ohnehin schon abgehängt sind. Sie mindert Aufstiegschancen. 

Von Hans Monath

Warnungen vor der schlimmen Wirkung der Corona-Einschränkungen auf die Lage armer Menschen gab es schon viele im vergangenen Jahr, aber nun ist die Misere von Experten gleichsam amtlich-statistisch beschrieben worden: Die Pandemie hat die soziale Ungleichheit in Deutschland verschärft, wie aus dem am Mittwoch in Berlin veröffentlichten „Datenreport 2021“ hervorgeht.

Auch jenseits der Heimsuchung durch das Virus zeigt die Studie, die Sozialforscher und Statistiker gemeinsam erstellt haben, ein sich verdüsterndes Bild, was die Entwicklung von Einkommen und Lebenschancen in der Bundesrepublik angeht. Denn wer einmal arm wurde, bleibt laut dem Report zunehmend länger arm als in der Vergangenheit.

So beträgt der Anteil dauerhaft von Armut bedrohter Bürger an allen in prekären sozialen Verhältnissen lebenden Menschen 44 Prozent. Das ist mehr als doppelt so hoch wie noch 1998. 2018 lebte hierzulande fast jeder Sechste unterhalb der Armutsrisikoschwelle. Der Anteil ist im Vergleich zu 2017 zwar leicht gesunken, das Armutsrisiko lag aber deutlich über dem Niveau Ende der 1990er-Jahre mit damals knapp elf Prozent.

Alleinerziehende haben ein besonders hohes Armutsrisiko

Von den Personen, die im Jahr 2018 unter die Armutsrisikoschwelle fielen, waren 88 Prozent bereits in den vier Jahren zuvor zumindest einmal von Armut bedroht. Die Hälfte davon (44 Prozent) befand sich in diesem Zeitraum vier Jahre durchgehend in diesem niedrigen Einkommenssegment.

Die Zahlen seien bedrückend, sagte der Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung, Thomas Krüger, bei der Vorstellung des Reports, den das Statistische Bundesamt (Destatis), das Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB), das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB) und das Sozio-oekonomische Panel (SOEP) erstellten. Das Risiko, in Armut zu leben, ist demnach besonders hoch für Alleinerziehende (41 Prozent), Menschen mit Hauptschulabschluss und ohne Berufsabschluss (35 Prozent) und Menschen mit Migrationshintergrund (29 Prozent).

Das hohe Ausmaß sozialer Ungleichheit schlägt sich laut den Experten auch in den Einstellungen und Wahrnehmungen der Menschen nieder. Nur knapp die Hälfte der Bevölkerung sieht das eigene Brutto-Einkommen als gerecht an. Vor allem niedrige Einkommen werden als ungerecht wahrgenommen. Sehr hoch ist auch der Anteil derjenigen, die sich dafür aussprechen, dass sich der Staat für den Abbau von Einkommensunterschieden engagieren soll. Das befürworten in Westdeutschland mittlerweile fast drei Viertel der Menschen; 2002 war es noch weniger als die Hälfte. In Ostdeutschland sind es rund 80 Prozent.

Große Unterschiede zeigen sich bei den finanziellen Auswirkungen der Pandemie. Im ersten Lockdown waren Menschen mit höherem Einkommen zwar häufiger von Einkommenseinbußen betroffen, die Pandemiefolgen trafen Menschen mit Niedrigeinkommen aber härter. Etwa jeder Fünfte gab an, in Finanznöten zu stecken oder sich darauf einzustellen.

"Sie mussten Kredite und Sozialleistungen beantragen"

Über die Not von Menschen mit Niedrigeinkommen unter Corona-Bedingungen, die ein Fünftel aller Deutschen ausmachen, sagte WZB-Experte Philip Wotschack: „Sie waren in Zahlungsschwierigkeiten geraten, mussten Kredite aufnehmen, waren in ernsthafte Geldprobleme geraten, mussten möglicherweise auf Ersparnisse zurückgreifen, Sozialleistungen beantragen oder ihren Lebensstandard drastisch einschränken.“

Nach wie vor hängen die Bildungschancen in Deutschland den Angaben zufolge stark von der sozialen Herkunft ab. Zwei von drei Kindern an Gymnasien haben demnach Eltern, die selbst Abitur gemacht hatten. Nur acht Prozent der Gymnasiasten haben Eltern mit Hauptschulabschluss oder gar keinem Abschluss.

Auch in Bezug auf Bildung verschärfen die Auswirkungen der Pandemie die Chancenungleichheit. „In den Schichten mit niedrigerem Einkommen fehlt es nun im Home-Schooling nicht selten an angemessener technischer Ausstattung“, sagte Krüger. Demnach standen Familien mit hohem monatlichen Haushaltsnettoeinkommen (5000 bis unter 18.000 Euro) Anfang 2020 im Durchschnitt vier PCs zur Verfügung. In der untersten Einkommensgruppe (unter 2000 Euro) waren es durchschnittlich zwei Geräte. Im Hinblick auf Kinder sei es so, „dass die Gesellschaft nicht nur insgesamt ungleicher geworden ist, sondern eben auch perspektivisch ungleicher wird“, meinte Krüger.

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Große Unterschiede gibt es den Daten zufolge auch bei der Homeoffice-Nutzung: Im ersten Lockdown arbeiteten Menschen in Berufen im unteren Drittel der Einkommensverteilung selten von zuhause aus. In etwa der Hälfte dieser Berufe betrug der Homeoffice-Anteil weniger als sechs Prozent. Ganz anders zeigt sich das Bild bei Berufen im oberen Einkommensdrittel: Fast zwei Drittel dieser Berufsgruppen hatten einen Homeoffice-Anteil von 20 Prozent und mehr.

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