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Politik: Cyberkrieg gegen Estland macht Westen ratlos

Angriffe auf Computer gehen offenbar weiter

Von Michael Schmidt

Berlin - Die Rede ist vom „ersten Cyberkrieg“: Estnische Behörden, Banken, Medien und Firmen werden seit dem 26. April, 10 Uhr morgens, in Wellen immer wieder durch so genannte „denial-of-service“(dos)-Attacken aus dem Internet sabotiert. Die Strategie der Angreifer: Sie legen Router und jene Teile des Netzwerkes lahm, die den Verkehr im Internet regeln, und sie überschwemmen Webserver mit einer Flut unsinniger Datenanfragen bis sie unter der Last der Spams zusammenbrechen. Die betroffenen Behörden- und Unternehmensseiten sind dann kaum mehr erreichbar.

Behördenvertreter schätzen den Schaden in dem kleinen baltischen Staat auf Dutzende von Millionen Euro. Allein die Kosten des Geschäftsausfalls der Hansabank, deren Online-Dienst zum Teil lahmgelegt war, wird auf eine Million US-Dollar geschätzt.

Während die großen Angriffswellen vorerst verebbt zu sein scheinen, kommt es nach wie vor immer wieder zu kleineren Zwischenfällen. An den Angriffen sollen bis zu einer Million PCs – vor allem aus Russland – beteiligt sein. Der estnische Regierungschef erhob im Gespräch mit dem Tagesspiegel schwere Vorwürfe gegen den großen Nachbarn: Man habe die Attacken auf IP-Adressen russischer Behörden zurückführen können. Ein Angriff soll sogar aus dem Büro eines Mitarbeiters des russischen Präsidenten Wladimir Putin erfolgt sein. Eine Darstellung, die Sicherheitsexperten so nicht ohne weiteres teilen. Im Internet kann man seine Identität leicht verschleiern. Dos-Angriffe werden gemeinhin mittels übernommener Rechner im gesamten Netz durchgeführt, eine seriöse Zurückverfolgung ist kaum möglich.

Haben wir es mit Vorboten einer neuen Kriegs-Art zu tun? Zeigt der Vorgang die Verletzlichkeit moderner Gesellschaften? Der Bundesregierung ist es für Schlussfolgerungen dieser Art zu früh. Auch Alexander Rahr von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik in Berlin warnt vor analytischen Schnellschüssen. Die Diskussion fuße auf zu vielen Spekulationen und zu wenig gesicherten Erkenntnissen. Vielleicht seien die Angriffe vom Kreml initiiert. Das Verhältnis zwischen Moskau und Tallinn ist nach der Verlegung eines sowjetischen Kriegerdenkmals in Tallinn sehr angespannt. Und er, sagt Rahr, wisse von einer „Abteilung R“ des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB, die nach Angaben aus Moskauer Oppositionskreisen deren Arbeit durch entsprechende Attacken sabotiere. Vielleicht aber, gibt Rahr zu bedenken, kämen die Angriffe auch von estnischen Hooligans – um sie den Russen in die Schuhe zu schieben.

Trotz oder gerade wegen der verbreiteten Ahnungs- und Ratlosigkeit, nehmen Nato und EU die Angriffe sehr ernst. Die Nato, deren Mitglied Estland seit 2004 ist, hat einen Security-Experten nach Estland geschickt. In Brüssel ist man überrascht: Bisher habe man Cyberattacken nur aus dem Mittleren Osten und dem Konflikt in Serbien und Kroatien gekannt. Die EU brachte das Thema auf dem Europäisch-Russischen Gipfeltreffen zur Sprache. Der russisch-estnische Konflikt sei ein „Testfall für die Solidarität“ der EU mit einem ihrer kleinsten Mitgliedsstaaten, sagte der Sprecher der EU-Kommission in Deutschland, Harald Händel. Da gelte es politisch Flagge zu zeigen. Mehr aber ließe sich im Moment auch nicht tun.

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